Bevor ich mich heute erneut auf den Weg Richtung Stuttgart mache, um in ein paar Tagen alte Freunde zu treffen, Abende mit ein paar Gläsern Wein auf der Terasse zu verbringen und in Ruhe an ein paar Artikeln zu arbeiten, habe ich noch von einem Textwerk zu schreiben: "Die Republik vor Gericht // 1954-1974" mit dem vielversprechenden Untertitel "Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts". Diese in eine Chronik politischer Justiz gefassten Erinnerungen des besagten Anwalts, der Jurist und Schriftsteller Heinrich Hannover, habe ich im Urlaub zu lesen begonnen. Mein Vater hatte es mir gegeben bevor wir vor ein paar Wochen nach Frankreich gefahren sind, es würde mich sicher interessieren, nicht zuletzt als Jurastudentin. Nun denn.
Mit von Sonnencreme festgeklebten Sandkörnern an den Fingerkuppen durchblättere ich die ersten Seiten und lese mich schnell fest. Hannovers Kindheit während der Nazizeitund seine erzieherische Prägung durch ein konservativ-großbürgerliches Elternhaus lehrten ihn früh, den Kommunismus stets als angsteinflößendes Feindbild vor Augen zu halten. Damals konnte er nicht wissen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt - während der Kommunistenverfolgung unter dem "Wegbereiter der Demokratie" Konrad Adenauer - einst Kommunisten und Anhänger der Friedensbewegung vor Gericht verteidigen würde.
Das Buch ist hochgradig kritisch und liest sich nichtsdestotrotz durch den trockenen Humor und die sezierende Sprache Hannovers erfrischend und regt dazu an, die Geschichte unserer Demokratie aus anderer Sicht zu betrachten. Der oft einseitige, im Geschichtsunterricht vermittelte Standpunkt war vor ein paar Jahren nicht in der Lage, mein politisches Verständnis zu fördern, sodass ein älterer Herr mit wachem Geist benötigt wurde, um mein kritisches historisches Bewusstsein nachträglich anzuregen. Am Strand, mit kühlem Seewind zwischen den Seiten, habe ich schockiert über den prekären Zustand der Meinungsfreiheit für Kommunisten während des kalten Krieges gelesen. KPD-Verbot und die Ignoranz Adenauers bezüglich der sowjetischen Note von 1952, die möglicherweise bereits damals die Einheit Deutschlands mit der einzigen Bedingung ermöglicht hätte, dass Deutschland militärische Neutralität bewahrt. Umso streitbarer erscheint Adenauers Remilitarisierungspolitik, durch die er klar gegen die Sowjetmacht Stellung bezog und wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg erneut einen (nicht zuletzt selbstverschuldeten) Krieg auf deutschem Boden riskierte. Anhänger der Friedensbewegung wurden als Kommunisten diffamiert und abgeurteilt, um deren sinnvolle und für einen demokratischen und menschenwürdigen Staat dringend notwendige Aufklärungsarbeit zu behindern.
Hannover beschreibt die eigenen Erfahrungen als Verteidiger in den damaligen Prozessen politischer Justiz, beginnend 1954, um in diesem Band mit dem Kapitel über die Verteidigung Ulrike Meinhofs bis 1974 zu schließen. Nicht nur bezüglich des Kommunismus in der BRD hat sich deren Justiz im Laufe der Zeit einige traurige Denkmäler der geistigen Enge und politischen Unfreiheit geschaffen. In einem weiteren Band, der bis jetzt ungelesen an der Bettkante liegt, führt Heinrich Hannover die Chronik seiner unbequemen Verteidigung bis ins Jahr 1995 fort. Nicht nur für JuristInnen, sondern für jede_n kritisch Interessierte_n bietet diese Geschichte der politischen Justiz die Möglichkeit, sich hintergründig zu informieren und einen Einblick in die Ambivalenz der Rechtswissenschaft zu erhalten. Und da die universitäre Juristenausbildung, ein Thema, mit dem ich mich viel auseinandersetze, an vielen Stellen konzipiert ist, die StudentInnen zu unhinterfragtem Rechtspositivismus auszubilden (eine Erfahrung, die übrigens auch Heinrich Hannover aus seinem Studium zog), bietet dieses Buch die Chance, anhand von plakativen Beispielen der Geschichte die Perspektive zu erweitern.
Abspann.
Es wird Nachmittag. In der Spüle stapelt sich angeklebter Reis auf einem Teller von gestern Abend neben Kaffeetassen und einer Horde Müslischalen, deren Herkunft ich noch nicht durchschaut habe. Chaos beseitigen und dann ins Auto, A 81 Richtung Stuttgart.
Montag, 7. September 2009
1 Kommentar:
Netiquette
Welcome to my living room. Statements, Meinungen, Feedback, Anregungen, etc. gerne in dieses Feld. Dazu bitte ich dich, zwei Dinge zu beachten:
1. Um nicht grau und schemenhaft zu bleiben hinterlasse bitte einen Namen und kommentiere nicht "Anonym". Ob jemand seine Identität im Netz preisgeben will oder nicht, bleibt selbstüberlassen - es genügt dein Vor- oder Spitzname.
2. Beleidigende Kommentare und solche ohne thematischen Bezug werden gegebenenfalls gelöscht.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Hallo,
AntwortenLöschenwenn Du Hannover mit Gewinn gelesen hast, dann kannst Du vielleicht auch etwas mit dem alten Ridder-Text (zu 30 Jahre GG) angefangen, den ich heute ausgegraben habe: siehe Verlinkung beim Namen.
Ridder war auch gegen das KPD-Verbot(und gegen die Notstandsgesetze) aktiv.
Die Sache mit dem Positivismus sah er allerdings ganz anders als Du.
PS.: Ich bin im übrigen wg. Deiner Kommentare bei der Mädchenmannschaft auf Deinen blog aufmerksam geworden.