Dienstag, 28. September 2010

Lady, Hand aufs Herz

Vor kurzem schrieb ich über Alice Schwarzer, über ihre neueste Bild-Kampagne und über ihre mediale Krönung zur Chef-Feministin. Über eine Frau, die viel erreicht und nicht mehr viel zu sagen hat. Dennoch gilt sie immernoch vielen als feministische Galionsfigur. So lange sie, wenn auch nur scheinbar und für die Öffentlichkeit, die Zügel in der Hand hält, ist die Diskussion um die heutige Identität des Feminismus noch lange nicht am Ende.

Es mag einst notwendig gewesen sein, sich von Weiblichem abzugrenzen, Ellenbogen auszufahren und kratzbürstig zu sein um die einseitige Behaglichkeit patriarchalischer Verhältnisse aufzubrechen. Wie uns Frau Merkel täglich vor Augen führt zum Teil auch heute noch ein Erfolgsmodell - dabei besteht die Schnittmenge zwischen ihr und mir einzig im Geschlecht. Die Problematik liegt darin, dass auf zu vielfältigen Kanälen kommuniziert wird es gäbe nichts zwischen Angela und dem überschminkten Kätzchenklischee. Mit freundlicher Unterstützung von aliceschwarzer.de.

Der scheinbare Mangel an Alternativen schafft die Distanz zum Begriff "Feminismus" - und post-gender ist so viel einfacher. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ließ es sich Mitte diesen Monats nicht nehmen, vor Augen zu führen, wie weit wir dennoch davon entfernt sind. "Zapateros Püppchen" ist eine Aneinanderreihung von Streetstyle-Fotos in durchschnittlicher Dilettanz - im Fokus die Ministerinnen der Zapatero-Regierung. Anstelle von politischer Kompetenz werden ihre Ausschnitte hervorgehoben. Hatte die FAS noch eine Woche zuvor einen Text über weibliche Karrierechancen und Aufstiegshemmnisse veröffentlicht, druckt sie wenig später einen Journalisten, dessen Vorstellung von Brüsten vielleicht das einzig Mehrdimensionale ist, was ihn zu den Zeilen bewegte.

Während besagter Journalist, Leo Wieland, nonchalant einen scheinbar politischen Text auf die Objektsqualität der Protagonistinnen beschränkt, von der Leyen als Mutteridol zwischen Rednerpulten flaniert und Herdprämien wieder an Konjunktur gewinnen brauchen wir Feminismus, schon allein fürs Herz. Es gibt ihn, diesen neuen Feminismus, der sowohl der Verbitterung einer Emma-Redakteurin als auch der Banalität mancher Post-Gender-Thesen etwas entgegenzusetzen hat. Der eine neue Weiblichkeit prägen könnte, die stellenweise bereits gelebt aber noch zu selten mit den Anliegen der Gleichberechtigung verknüpft wird. Die Vorstellung, dass Frauen sich in Kleider zwängten und Lippenstift auflegten, um mit signalfarben untermaltem Augenaufschlag Ziele anzuvisieren, ist längst überkommen. Ebenso ihre Alternative größtmöglicher Unweiblichkeit. Es gibt tausend Wege, sich als Frau mit Mode zu beschäftigen, ohne sich dabei in die Untiefen des Instyle-Niveaus zu begeben. Oder Lippenstift zu tragen. Es fehlt nicht an grauen Grabenkämpfen, sondern an Respekt vor der Subjektivität. Und an Mut zu kommunizieren, dass noch nicht alles gut ist.

Für neue Einflüsse, Ideen und Hintergründe hierzu will ich (nochmals) eine Veranstaltung ans Herz legen:

Am 30. Oktober findet in der Berliner Kalkscheune das Barcamp Frauen statt. Der Eintritt ist frei, Vorschläge zu Workshops und Diskussionen sowie Themenwünsche können ab sofort auf der offiziellen Seite zum Barcamp eingebracht werden. Ganz im Sinne des zeitgemäßen Diskurses ist auch männliche Präsenz herzlichst erwünscht.

[Bild: Justin Waldron via itsnicethat.com]

Donnerstag, 23. September 2010

In a Manner of Speaking

In a manner of speaking
I just want to say
that I could never forget the way
you told me everything
by saying nothing
Nouvelle Vague // In a Manner of Speaking

Bei Verlassen des Saals steigt einem der Geruch von Restmüll in die Nase, dreckig und verwaist bleibt die Bühne zurück. Ivo van Hove gibt mit seiner Inszenierung von Molières Der Menschenfeind an der Berliner Schaubühne Gefühl und Gesellschaft neue Formen.

Aufrichtigkeit und Schmerz. Das Stück beschreibt den adeligen Menschenfeind Alceste, gespielt von Lars Eidinger, der die Gesellschaft für ihre Lüge und Heuchelei verabscheut. Sich selbst hat er zum Ziel gesetzt, über die Grenzen aller Umgangsformen hinaus ehrlich zu leben. So lässt er den Höfling Oronte (David Ruland), der ihn nach seiner Meinung fragt, schonungslos wissen, was von dessen stümperhaftem Sonett zu halten sei. Als dieser verärgert vor Gericht ziehen will sieht sich Alceste in dem Bild seiner Mitmenschen bestätigt und plant genussvoll, den Prozess zu verlieren. Dabei ist er einer der hasst und ebenso kompromisslos liebt. Er entflammt für die schöne Witwe Célimène (Judith Rosmair), die im Gegensatz zu ihm mit der Gesellschaft, mit den Männern kokettiert, nicht allein sein kann und ihn doch, vielleicht, ein bisschen gegenliebt.

Van Hove inszeniert einen beeindruckend körperlichen Lars Eidinger, der sich selbst gegen die Lüge vollständig dekonstruiert, sich bis ins Rektum mit Lebensmitteln beschmiert und in mitreißender Rage ein Bühnenbild aus dem Inhalt von Müllsäcken erschafft. Bestechende Tiefenschärfe im sozialen Morast. Das zunächst als Schwäche der Regie diagnostizierte Gefuchtel mit Apple-Produkten erhält im Kontrast des Gestanks seine Daseinsberechtigung, wird zum gewollten und gekonnten Sinnbild im Jetzt. Die Erschütterung wird fühlbar wenn er schreit hier hast du mein Herz, einer, der fällt nachdem ihm das einzig Geliebte genommen scheint.

Die Vorlage Molières aus dem 17. Jahrhundert lässt perpetuierte Rollenklischees, die schöne Unstete und der aufrecht Liebende, vermuten. Dennoch gelingt es der Inszenierung, auch von Célimène ein tiefgründiges Bild zu zeichnen, dass letzten Endes ihre klatschhafte Koketterie als Angst vor Einsamkeit enttarnt. Und das macht sie nicht zur Frau sondern zum Menschen, gleich den Männern, die Alceste umgeben.

Das Ende: ein verzweifelter Kuss. Ihr fehlt der Mut um durchzubrennen, ihm fehlt die Kraft zu bleiben. Ob er allein geht bleibt offen.

Vor drei Jahren hat van Hove den Menschenfeind bereits in New York inszeniert. Es scheint ihn eine besondere Faszination zu treiben, es wieder und diesmal in Berlin zu tun („ein heiliger Ort für Theater“, wie er findet). Im Interview mit der zitty gibt er folgende Erklärung: „Molières Dramen sind Sozialdramen, sie handeln von seiner Gesellschaft und gleichzeitig von der unseren. Seine Typen sind Metaphern, Figuren, die uns über das Heute nachdenken lassen.“ Dafür und für die Liebe darin beste 120 Minuten.

[Bild: Schaubühne]

Freitag, 17. September 2010

Peppermint Tea and Pink Balloons

Wenn ich die Wohnungstür aufschließe, muss ich noch immer Kisten zur Seite schieben und über Farbrollen steigen. Währenddessen gruppiert sich der Soundtrack einer Stadt um mein Wohnzimmerchaos.

Ein Zuhause im Prenzlauer Berg, das in sanftes Licht getauchte Schaufenster einer Stadt aus Hässlichkeit und kreativen Glanzpunkten, Kaputtem, manchen Konstanten und dem Unzählbaren, das ständig neu entsteht. Rechts von mir der Kollwitzplatz mit seinen bunten Samstagen für Bio-Eltern, die Vintage zu Designerpreisen erstehen. Links der Mauerpark für Karaoke nach dem Katerfrühstück und die Ader der Realität, die Schönhauser Allee, erholsam ehrlich mitten durch das plastische Paradies. Alles in allem ein großes Herz für meinen Kiez.

In den ersten 48 Stunden belustigt durch die Frage, ob der Konsum von Club Mate in der Tram zur Arbeit mich zum Hipster stempeln würde, ist das Sujet längst in den Hintergrund getreten, schließlich beinhaltet die 0,5l-Glasflasche feinstes Koffein. Die Zweitrangigkeit des Anderen im Subtext.

Am vergangenen Wochenende besonders von Nöten, hielt die Berlin Music Week doch unter anderem eine neue Art der Pop-Queen bereit, die sich nicht ausschließlich musikalisch, sondern vor allem der Performance wegen Zeilen verdient. Wenn Robyn auf der Bühne eine Banane verspeist, so tut sie dies gekonnt unlasziv und schleudert den Rest der Frucht mit vollem Mund in ein tanzendes Publikum. Diese Frau traf die richtige Entscheidung, als sie sich von ihrem Major Label trennte und im selben Moment aus dem Schatten populärer amerikanischer Pop-Girlies trat.

Im Übrigen begleitet mich seit einigen Tagen ein Lied des Norwegers Thomas Dybdahl auf Schritt und Tritt, die Stadt ist laut und manchmal gedämpft, fast still, between peppermint tea and pink balloons. Abgesehen vom Regen in Bindfäden hege ich Verliebtheiten für beinahe Sämtliches.

+ to read: Der Schwarzersche Kanal // derFreitag

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