Dienstag, 2. November 2010

Was wollen wir eigentlich?

Beim Barcamp Frauen in der Berliner Kalkscheune wurde zwischen Pornografie und Familienplanung ein breites frauenpolitisches Spektrum diskutiert. Zurück bleiben mehr Fragen als Antworten.

Je breiter die Themen, desto größer die Gefahr, sich in Diskussionsfetzen zu verlieren. Und so ließ die offene Gestaltung des Barcamp Frauen, veranstaltet von der SPD und unterstützt von der Mädchenmannschaft, Vorwärts und dem Freitag, im Voraus zwei Schlüsse zu: Planlosigkeit oder Kalkül.

Die Veranstaltung ist kostenlos, eingeladen sind alle, die Interesse an Geschlechterfragen haben. Doch das Format Barcamp, welches als Nebenprodukt des Web 2.0 entstanden ist, trägt seinen Teil zum tatsächlichen Publikum bei: zwischen ein paar vereinzelten Männern sind hauptsächlich Frauen zwischen 20 und 30 gekommen. Und wie sich später herausstellt zum Glück auch eine Handvoll Frauen aus deren Elterngeneration. Das gemeinsam erstellte Programm beginnt mit Porno, wird unterbrochen von halbseidenen Statements zum heutigen Stand der Frauenbewegung, nach der Mittagspause fortgesetzt mit einer Debatte über Intimchirurgie und einer Session zu herrschaftskritischen Räumen, abgeschlossen mit Widersprüchen und Chancen zwischen Mode und Feminismus. Womit das Angebot nur in Umrissen skizziert ist.


Die Ursachen für den verstockten Umgang der Gesellschaft mit weiblicher Sexualität etwa lassen sich kaum in 45 Minuten abhandeln. Doch hier realisiert sich vor allem der Nutzen des Veranstaltungsformats: Das große Interesse der BesucherInnen an Themen entlang der Intimsphäre geht über persönliche Voyeurismen hinaus – und ist Indiz für umfangreichen Gesprächsbedarf. Warum wachsen Mädchen mit der Vorstellung heran, Porno sei etwas für Jungs? „Der Busen gehört der ganzen Nation“, meint eine Teilnehmerin – während die Vulva tabu bleibt. Sichtbar wird sie höchstens auf Youporn, dafür in Nahaufnahme und wird damit Teil des zweifelhaften Trends, den eigenen Intimbereich kosmetischer Chirurgie zu unterziehen, um einer Norm zu entsprechen, die bereits in Biologiebüchern an heranwachsende Augen gelangt.

Weniger greifbar bleiben die Ergebnisse der Session zur Lage des Feminismus. Es scheint sich dazu ein Konglomerat von Müttern eingefunden zu haben, die über Anstrengungen zwischen Kindern und Karriere berichten. Ein Dauerbrenner, nicht zuletzt aufgrund der existentiellen Erfahrungen, die das Ideal eines gleichberechtigten Zusammenlebens auf seine härteste Probe stellen. Jedoch fehlt es der Debatte, in der der Satz „habt ihr das auch in der Nido gelesen...“ zum Einstieg gereicht, bereits im Ansatz an kritischer Bissigkeit und der ernsthaften Suche nach Lösungen. Das Stern-Magazin für die neue Generation hipper Bio-Eltern suggeriert Fortschrittlichkeit in Pastelltönen - und das transportierte Rollenbild schließt höchstens Väter ein, die ihren Beitrag zur Gleichberechtigung darin sehen, Designkinderwägen über den Prenzlauer Berg zu schieben. Auch unser Gespräch versickert ähnlich zwischen Klagen über schräge Blicke am Arbeitsplatz, „sich zerreiben“ fällt oft.

Aber was wollen wir eigentlich? Die Gründe dafür, dass Feminismus viel mehr als nur historische Relevanz besitzt, liegen viel tiefer unter der Oberfläche, als dass man sie ohne zu zögern lokalisieren und beheben könnte. Auch die Verhaltensweisen, welche Frauen einschränken, ihnen Kompetenzen absprechen und sie zu Objekten stilisieren sind subtiler als noch vor zwanzig Jahren. Kein Personalchef würde sich offensiv aufgrund ihres Geschlechts gegen eine Bewerberin entscheiden und wenige Partner wagen noch zu behaupten, sie würden Küche und Kinder ihrer Freundin überlassen. „Früher fand unter Frauen noch ein viel regerer Austausch statt – davon ist heute viel verloren gegangen“, erzählt eine Teilnehmerin mittleren Alters, „sowohl über soziale Umgangsformen als auch über sexuelle Beziehungen. Gemeinsam waren wir wacher und auch mutiger, mit unseren Bedürfnissen offen umzugehen.“ Dass es heute an weiblicher Bereitschaft fehlt, sich mit feministischen Themen auseinanderzusetzen, ist überall spürbar. Die These, nach der sich die Frauenbewegung durch ihre Erfolge bereits abgeschafft hätte bietet dabei eine opportune Fluchtperspektive vor einem Thema mit angestaubtem Charme und mangelndem Sexappeal. So fällt vielen Frauen der maskuline Umgangston im Büro zunächst nicht auf. Frustration stellt sich erst ein, wenn man über Jahre hinweg an keine neuen beruflichen Perspektiven gelangt und feststellt, dass man zu dem Teil der Beziehung geworden ist, der die Wäsche aufhängt und über den Inhalt des Kühlschranks informiert ist, um auf dem Weg nach Hause kurz noch ein paar Lebensmittel einzukaufen.

Jede Einzelne von uns will irgendetwas, verfolgt individuelle Ziele und tritt dabei meist als Einzelkämpferin auf. Doch in erster Linie brauchen wir das Verbindende zurück. Denn wer würde heute noch Simone de Beauvoir lesen, solange die GesprächsparterInnen fehlen?

Ebenso sind neue Impulse notwendig, um den Feminismus an unsere Zeit anzupassen, ihn loszulösen von seinem überkommenen Latzhosen-Image. Und notwendig ist nicht nur der Mut von Frauen, sich aktiv mit Feminismus zu befassen, sondern auch eine reflektierte männliche Sicht auf ein politisches und zwischenmenschliches Ungleichgewicht, das als solches erkannt werden muss. Das Barcamp Frauen hat in jedem Fall dazu beigetragen, eine intellektuelle Basis zu schaffen, von der aus weitergedacht und gehandelt werden kann. Und daran, dass sich Männer ebenfalls angesprochen fühlen, kann man im Titel noch feilen.

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