Samstag, 7. Januar 2012

Biografie >> Eine politische Frau

/ zuerst im freitag

Ein Leben, hin- und hergerissen zwischen Liebe und Verzicht: Ulrich Teusch erzählt das Leben von Jenny Marx, der "roten Baronesse"

Beabsichtigt sei, so schreibt Teusch in einer Vorbemerkung zu Jenny Marx - die rote Baronesse „keine ausladende und detaillierte Biografie, sondern ein Porträt, der Versuch, sie und ihr Leben zu verstehen, ihre Leistungen zu würdigen“. Er richte sich mit dem Buch an Menschen, „die sich noch oder wieder oder zum ersten Mal für Jenny Marx (und ihren Mann) interessieren.“

Die Klammer im letzten Satz dieser Vorbemerkung kündigt bereits an, dass Jenny Marx, eine willensstarke, politisierte und zugleich sehr sensible Person, von Teusch vor allem als die Frau an der Seite eines großen Denkers verstanden wird. Die Darstellung ist nicht chronologisch, sondern soll einzelne Facetten beleuchten. Die Kapitel heißen „Eine Frau im vorgerückten Alter“, „Liebesbande – Familienbande“, „Die toten Kinder“ oder „Szenen einer Ehe“ und irgendwo dazwischen findet sich eines mit dem Titel „Das Los der (politischen) Frau“.

In Abwesenheit des Verlobten

Die erste Hälfte dieses Porträts ist demnach vor allem eine Erinnerung an ihren Mann Karl, aus dessen Brief an seine Frau der Charakter Jenny Marx entwickelt wird. Die, wie Karl Marx schreibt, „liebe, gute Herzensjenny“ habe diese Worte sicher als Balsam für ihre seelischen Wunden empfunden, im Londoner Exil und in größten finanziellen Nöten, im Winter 1863 und mit drei Kindern allein. Jenny und Karl sind zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwanzig Jahren verheiratet. Zwanzig Jahre, denen weitere sieben Jahre Verlobungszeit vorangingen, in denen die beiden gezwungen sind, ihre Beziehung auf ein Minimum zu reduzieren.

Währenddessen leidet vor allem Jenny, eine geborene von Westphalen, unter zahlreichen Versuchen, ihre Verbindung zu Karl Marx zu hintertreiben. Allen voran ihr älterer Halbbruder Ferdinand, ein von Standesdünkel zerfressener Konservativer, der wenige Jahre nach der gescheiterten Revolution 1848 preußischer Innenminister wird, nutzt die Abwesenheit des Verlobten, um Jenny seine offene Missachtung spüren zu lassen. Karls Vater, Heinrich Marx, wird in dieser Zeit zu Jennys engem Vertrauten, zumal er große Stücke auf sie und ihre Verbindung zu Karl hält. Aber er ist es auch, der die beiden zu Bedacht und eben dieser langen Verlobungszeit ermahnt.

Neben der Schilderung der Stationen von Karls Werdegang kommt, fast beiläufig, auch Jennys familiärer und sozialer Hintergrund zur Sprache. Die Eltern Johann Ludwig und Caroline von Westphalen sind zwar adelig, aber gehören nicht dem Hochadel an. Der Vater ist Regierungsrat im preußischen Staatsdienst, den Titel trägt die Familie, seit er Jennys Großvater Christian Heinrich Philipp von Westphalen 1764 von Kaiser Franz I. für seine Leistungen als Militärstratege verliehen wurde.

Johann Ludwig wird beschrieben als gebildeter und besonnener Mann, als Kenner und Verehrer von William Shakespeare. Ihre für eine Frau in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts überdurchschnittliche Bildung verdankt Jenny vor allem ihm, der ihr über die Schule hinaus Privatstunden finanziert und die englische Sprache beibringt. Sie selbst wird Ballkönigin von Trier, „schön an Seel und Körper“ und „unsere wahre Freude im Hause“, wie Mutter Caroline schreibt. Schon früh wird deutlich, wie wenig sie sich mit den Gepflogenheiten ihrer eigenen gutbürgerlichen Oberschicht identifizieren kann. In einem Brief an ihre Mutter aus Niederbronn-les-bains, wohin sie Halbbruder Carl zur Kur begleitet hat, schreibt sie ironisch von „Fabrikherren, Kaufleuten. Hier dreht sich denn die Unterhaltung meist ums liebe Geld, wie man‘s gewinnt und wieder verliert [...] der Inbegriff aller Vollkommenheiten“. Es scheint konsequent, dass sie sich für einen Mann wie Karl Marx entscheidet.

Es folgen Darstellungen von ihrem gemeinsamen Leben mit diesem Mann. Karl wird schon bald durch seine publizistische Tätigkeit und die unbequemen oppositionellen Ansichten zum politischen Feind, wird zuerst Frankreichs und später auch Belgiens verwiesen. Jenny bringt sieben Kinder zur Welt, von denen jedoch nur drei Töchter überleben – ein Umstand, der vor allem ihrer Zeit im damaligen Londoner Elendsviertel Soho zuzuschreiben ist.

Begrenzte Möglichkeiten

Je mehr Facetten hinzutreten, umso öfter lässt Teusch Jenny Marx selbst – und nicht nur in Briefen an ihren Mann – zu Wort kommen und geht auf ihre spezifische Geschichte ein. Aus dem Schriftwechsel mit ihrer engen Freundin Ernestine Liebknecht geht hervor, wie sehr Jenny unter den Verhältnissen leidet, aus denen sie oft keinen Ausweg sieht. Die Tode von vier Kindern zehren psychisch und physisch an ihrer Gesundheit. Sie ist eine politische Frau, die sich jedoch in gewisser Hinsicht mit ihren begrenzten Möglichkeiten abgefunden hat. Ihre Beziehung zu Karl ist trotz aller Krisen tiefe Liebe und Teusch geht davon aus, dass sie nicht zuletzt durch diese Heirat hoffte, den Einschränkungen ihrer patriarchalischen Gesellschaft ein Stück weit zu entkommen. Worunter sie später vor allem leidet, ist ihr begrenzter politischer Handlungsspielraum. So belässt sie es dabei, ihren Mann zu unterstützen, sein „Sekretär“ zu sein, wie sie es selbst, nicht ohne ironischen Unterton, nennt.

Dennoch gelingt es Teusch bis zuletzt nicht ganz, sich von der Perspektive ihres übermächtigen Mannes zu lösen. Auch wenn Jenny Marx‘ Abhängigkeit von Karl in vielerlei Hinsicht eine tatsächliche und der Zeit geschuldete sein mag, so wird er ihr dennoch nicht gerecht, indem er letztendlich nicht von Jenny Marx selbst, sondern von ihrer Ehe schreibt. Man fragt sich seitenlang, warum er gerade sie und nicht ohne Umschweife ihren Mann auf den Titel gehoben hat, bis bei der Geschichte von Karls mutmaßlicher Affäre mit der Haushälterin Lenchen Demuth Teuschs Anliegen ganz deutlich hervortritt: Er will von der Liebe schreiben und all jenen entgegentreten, die Karl Marx über verschiedenste publizistische Genres hinweg als unfähigen Versorger und Frauenhelden betrachtet haben.

So zitiert er fast inbrünstig den Essay Lebenslange Liebe des Soziologen Jacques Ellul, der von einer im Dialog reifenden Liebe berichtet, die im Laufe eines Lebens größer und umfassender werde, indem man den Partner als den anderen erkennt. So ist die Analyse der Liebe von Jenny und Karl zwar eine Gratwanderung entlang von überbordendem Kitsch, aber durchaus gelungen – auf die Person Jenny Marx jedoch wirft der Autor nicht mehr als ein fahles Licht.

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