Montag, 28. Dezember 2009

Postrebellion

Die Kitschigkeit des Moments, in dem sich die Vormittagssonne in den gläsernen Weihnachtsbaumkugeln bricht, wird mit der dritten Tasse Kaffee nur beinahe weggespült. Thank God, thanks to who ever, it's monday, ein Stückchen Alltag in angetrockneter Bratensoße.

Schmatzende Kussmünder in die Wohnzimmer, in denen eine Frau in ihrem Buch versunken auf der Couch logiert während irgendjemand telefonischen Kontakt zum Pizzalieferanten aufnimmt, Wohnzimmer, denen beschürzte Vollweibchen fremd sind.

Letzte Fahnen von Fonduegeruch und süßlichem Parfüm halten sich hartnäckig bis Silvester in der Zimmertannenkrone, stillhalten bis 24 Uhr, der Stoff für Neujahrsansprachen ist bereits gesammelt. Das liebe Kind braucht indessen eine kleine Prise hingerotzter Postrebellion, gute Vorsätze werden vertagt.

[Bild]

Montag, 21. Dezember 2009

Auf Pause drücken

Anti-Wirklichkeit, eine Seifenblase aus Puderzucker, Plätzchen und Tee, das dezente Rauschen im Hintergrund bestreitet die wunderbare Simone White. Die Kälte jenseits der Haustüre bewegt mich zu arktischen Vergleichen, Pflicht und Sollen werden gegen Ende des Jahres verschwindend gering, gipfelt in der Nichtkonfrontation mit einem sonntäglich anmutenden Montagvormittag mit dem Unterschied, dass ein offener Supermarkt nebenan für unerfüllte Frühstückswünsche zur Verfügung steht. Universitäres Lernpensum wird für ein paar geisterhafte Tage durch Schöngeistigkeit ersetzt.

Inmitten literarischer Avancen junger SchriftstellerInnen, benutzter Weingläser und Teetassen ein Film über junge deutsche Geschichte, Studentenproteste, Rote Armee Fraktion und drei herausragende Biografien, die unterschiedlicher, teils schockierender nicht sein könnten: Die Anwälte.



Eine rückwirkende Ehrung verblassender Autoritäten meiner Schulzeit, die damals mein Verlangen nach Grundlagen erkannten, dieselben, die heute zu verstehen scheinen, dass ein Jurastudium, "die Juristerei das Beste ist, was sie hätten machen können". Die grundlegenden Bestimmungen einer Gesellschaft erkennen zu wollen, sich einer Wissenschaft anzunähern, deren Ambivalenz in den Schicksalen der drei RAF-Anwälte Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Horst Mahler fast greifbar wird. Einst verbunden durch die Auflehnung gegen die Strukturen einer naziverkrusteten Bundesrepublik und den Protest für ein Mehr an Freiheit zeigt der Film durch alte Aufnahmen und Jetzt-Interviews die grundverschiedene Entwicklung beeindruckender Persönlichkeiten.

Ich erinnere mich an einen grünen Teddybären mit roter Hose, den man lange bevor ich zu politischem Verständnis in der Lage war Otto Schily taufte - nach dem grünen Realpolitiker, der sich eines Tages rote Hosen überstreifte und als Innenminister der rot-grünen Regierungskoalition von einem Grundrecht auf Sicherheit fantasierte, den Weg ebnete für Vorratsdatenspeicherung und den Ausbau von Kompetenzen des BKA, die Entwicklung eines Polizeistaates, den er selbst in den siebziger Jahren kritisch beäugte. Seine Geschichte handelt davon, wie wandelbar das Verständnis eines Rechtsstaats sein kann. Für die außerparlamentarische Opposition der 68er-Bewegung war Schily als Teil der damaligen Anwalts-Elite, der sein Talent den Demonstranten zur Verfügung stellte, eine intellektuelle Instanz, gleichzeitig einer, der nie von Systemumstürzen träumte. Heute sagt er über persönliche Wandlungen, es sei idiotisch, sich nicht weiterzuentwickeln.

Ströbele hingegen entbehrt zu jedem Zeitpunkt einer Vorreiterrolle - eine Tatsache, die sich nur im ersten Moment defizitär gibt. Er war derjenige, der nicht zur Schah-Demo erschien, der vom Schicksal Benno Ohnesorgs durch häppchenweise Gerüchte erfuhr. Der nicht wie Schily 1983, sondern erst '85 für die Grünen in den Bundestag einzog. Über sich selbst erzählt er von seinem bereits als Kind besonders ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl. Seine Entwicklung wirkt bedächtig, zurückhaltend und überlegt. Er bleibt der Einzige der Drei, der seine Vorstellungen über Freiheit, Gerechtigkeit und Pazifismus noch heute verfolgt.

Horst Mahler durchquert das politische Spektrum, beschreibt selbst eine biografische Wanderung vom linken zum rechten Rand. Er saß für die RAF, heute sitzt er für die Leugnung des Holocaust. Während seines ersten Aufenthalts hinter Gittern brachte ihm Otto Schily Hegels gesammelte Werke. Dessen Philosophie über eine Wahrheit, die im Widerspruch liegt, habe ihn zum Nationalisten gemacht, konstatiert der heutige Mahler. Die schillerndste Persönlichkeit der drei RAF-Anwälte markiert die schandhafteste Entwicklung vom Freiheitskämpfer zum Menschenverächter, der wegen seines Intellekts im Laufe eines halben Lebens zu einer der größten Gefahrenquellen aus der rechten Szene avancierte. Dieser Intellekt ist es, der seine Kehrtwende so schwer begreifbar macht. Zurück bleibt allein die Vorahnung einer Unbekannten, dem unnahbaren Mehr als bloßem Verlangen nach einer Rolle als Staatsfeind.

Rückschritte. Aus der Perspektive des ihnen gemeinen Jurastudiums sehe ich als heutige Betrachterin drei Sichtweisen auf den Rechtsstaat in frappierender Differenz, einen unglaublichen Film über die Ambivalenz sowohl des Rechts als auch des Menschen. Ein Film, der Diskussionen nach sich zieht über polizeistaatliche Handlungsmethoden, persönliche Schicksale und NPD-Verbot in einer gezuckerten Stadt, überfüllt mit Shoppingtouristen.

Die Bevölkerung einer süddeutschen Stadt tauscht sich aus, jeden Tag folgen mehr Studierende einer bestimmten Bratenduftfahne nach Hause, gestresste Eltern aus den umliegenden Käffern stürmen die Fußgängerzone. Unwirkliche Lossagung von einer Wahlheimat für einen begrenzten Zeitraum zwischen zwei Jahren, letzte gemeinsame Mittagessen, auch wenn die darum gruppierten Vorlesungen an verschwindenden Auditorien leiden. Wenige Tage bis zu meiner Heimreise, glasiert mit süßer Untätigkeit, Musik und noch mehr Büchern und Filmen.

Freitag, 18. Dezember 2009

Fummeln auf dem Dancefloor


Auletta // 17.12. // Heidelberg, Karlstorbahnhof

Im Angesicht blondgefärbter Teenkätzchen in Begleitung fummelnder siebzehnjähriger Jungens fühle ich mich zunächst nach Verirrung, ein kaltes Bier hilft, um mich an die Begebenheiten anzupassen. Eine Expedition per Fahrrad durch die späte Dezemberkälte, aber man nimmt ja einiges auf sich für eine musikalische Lieblingsentdeckung des letzten Septembers. Und die nicht ganz so siebzehnjährigen Jungs von Auletta trösten mit Lachsalven bei der Frage, ob die kreischende erste Reihe nicht doch eher den Weihnachtsmann meint. Dabei hätten wir doch etwas verpasst, hätten wir alle zehn Finger bei jedem Konzert stets am eigenen Körper behalten. Kein Wort zu Begeisterungsanfällen, die sich dem Spektrum üblicher Tonlagen nach oben hin entziehen. Alles ist gut, ich kann weitertanzen, wenn auch mit der Feststellung, die postpubertäre Konzertknutschphase unweigerlich überwunden zu haben.

Und nie alt genug zu sein, die Aufforderungen ihres Openers nicht wörtlich zu nehmen. "Schrei und tanz bis du die Erde nicht mehr spürst // scheiß' mal auf heute, auf Sorgen, und morgen sowieso" - überhaupt tragen Text und wunderbar rockende Gitarrigkeit in einer Location mit Blick über den nächtlichen Neckar, in Verbindung mit kaltem Beck's, dem alten Jugendbier, rotzige Retrospektiven eines siebzehnjährigen Lebens in sich. Und ein verdammt gutes Gefühl dabei.

Es ist das fast vergessene Bäume-Ausreißen, das besinnungslose Tanzen in staubigen Indiekellerlöchern, die beseelende Wut auf eine träge und satte Gesellschaft gepaart mit ungetrübter Aufbruchstimmung und naiver Verliebtheit. Nach einer unglaublich kurzen Ewigkeit steige ich die Treppen Richtung Ausgang hinunter, der letzte Schluck Bier schmeckt immernoch schal. Gut, das alles mal aufgefrischt zu haben.

Donnerstag, 17. Dezember 2009

Jahresfetzen

Die letzten Fetzen liniertes Klausurpapier für dieses Jahr sind beschrieben, abgegeben, die letzten Besäufnisse in WG-Räumlichkeiten geplant, bevor man sich auf die Reise in küchenwarme Harmoniesümpfe zu Weihnachten begibt. Zu lernen gibt es nicht mehr viel für dieses Jahr, meine Eltern würden nicht glauben, wie voll der Aschenbecher neben mir ist.

Zur Einstimmung lese ich beim Freitag eine Abrechnung mit den Feiertagen am Ende eines jeden Jahres und fühle mich mit einem pizzagefüllten Bauch fast behaglich bei meinen ersten Berührungspunkten mit beruflichen Weihnachtsfeiern als studentische Hilfskraft.

"...die eigentliche Herausforderung kommt ohnehin dann, wenn alle Geschenke besorgt sind: Wenn man wieder das Kind zu sein hat, das man war und – manchmal zeitgleich – eine Mama oder einen Papa darstellen soll, die man nie sein wollte. In dem Moment der Bescherung, der innerhalb weniger Augenblicke völlig reizüberflutete Kinder produziert."

Auch weitere Feststellungen des Artikels zum Weihnachtsfest werden getrost auf die Zukunft verschoben, mindestens hinsichtlich der Kollision mütterlicher und kindlicher Benimmregeln unterm Tannenbaum. Ich gebe mich einstweilen mit der Problematik zufrieden, mich für die letzten Tage des Jahres in die Architektur meiner Heimatstadt einzugliedern als ein Teil früherer Stammbelegschaft, der vor lauter Abwesenheit mit einer Tasse lauwarmem Glühwein in der Hand mitten in einer überfüllten Altstadt zum Überraschungseffekt avanciert. Gut zu wissen, dass ich nicht mit Großtanten zu rechnen habe, die mir mit schrägem Gesang im Kirchenchor die Show stehlen. Mindestens ebenso gut ist, in der Zeit zwischen Fondue, Raclette und Weihnachtsbraten auf beliebigen Polstermöbeln die letzten Jahresfetzen glimpflich passieren zu lassen. In dieser Umgebung ist es zugegebenermaßen von Vorteil, wenn die Überraschungseffekte gering ausfallen.

Freitag, 11. Dezember 2009

"I'm not the complaint department"

Zu Beginn eines triefend grauen Wochenendes ist zumindest der Weißwein schonmal kaltgestellt. Der Vernunft zuliebe halte ich es bis jetzt weiter mit Teebeuteln und Fleecedecken, keine Chance also für den Infekt.

Der Tag rinnt ebenso an mir vorbei wie die letzten drei, vier; ausgedehnte Aufenthalte in den heimischen Vierwänden neben pflichtmäßigen Kurzbesuchen in der Vorlesung. Ich unterziehe mich hierbei einem Feldversuch in: "wie langweile ich mich nicht zu Tode, wenn ich schon nicht lernen kann". Selbstverständlich alles zu Gunsten der virtuellen Weitergabe von neuerworbenem Wissen.

1. Cineastische Lücken auffüllen:
Die Mütze tief in die Stirn gezogen empfiehlt sich ein benebelter Blitzbesuch in der nächstgelegenen Videothek. Abzugreifen wäre zum Beispiel:
+ Kill Bill Vol. 1 und 2
+ Gegen die Wand
+ Julia

2. Input aus dem Netz für jede Gemütslage
+ Entdecker a.D. - eine Abrechnung mit Frank Schirrmachers neuestem Schinken "Payback" bei knicken
+ Kinderpornoverdacht kann Unschuldige treffen - die Zeit Online über fragwürdige Ermittlungsverfahren
+ herzhafter Lieblingstrash: Lindsay Lohan - wenn's eklig wird /Pimpettes, 1300 Kalorien /sexdrugsblognroll

3. Kurzer Ausflug über die Straße
Sobald Kopf- und Gliederschmerzen weitestgehend erfolreich bekämpt wurden
+ Jostein Gaarders Orangenmädchen im Kino

4. Nicht zu vergessen: der Soundtrack für die erkältungsbedingte Couchphase
+ Lykke Li - Youth Novels /album
+ Simone White - I am the man /album

>>Lykke Li - Complaint Department

Mittwoch, 9. Dezember 2009

kränkelnd, Dezember

Heiße Zitrone gegen ausufernde Wintergrippen. Ich weigere mich, Schweine und andere Vierbeiner in die Definition meines kränkelnden Übergangszustands zu integrieren.

Stattdessen lese ich über kränkelnde Episoden der Strafjustiz im Rahmen einer neuen, angesichts meines Zustands durchaus nicht von Effektivität gekrönten Klausurvorbereitung. Schon letzten Monat hat mich die Thematik eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 Strafgesetzbuch beschäftigt - ich drehe mich bisweilen im Kreis, mit Erfolg.

Laut der stetigen Rechtsprechung, die sich in diesem Punkt ausnahmsweise, zu Ungunsten eines modernen Ehebegriffs mit der Rechtslehre deckt, kommt ein Ehemann, der seine Gattin in flagranti beim Fremdgehen ertappt und daraufhin tötet, in der Regel in den Genuss einer Strafmilderung nach § 213. Dass dies für Ehefrauen umgekehrt noch lange nicht der Fall ist, wie ich vormals dargestellt habe, läuft einer geschlechtergerechten Justiz eklatant zuwider. Doch würde eine Gleichstellung von Männern und Frauen in diesem Themenkomplex weit reichen, geschweige denn zu einem zeitgemäßen Ergebnis kommen?

Vielmehr liegt dieser Auffassung ein tiefer liegendes Problem zu Grunde: ein traditionell patriarchales Verständnis der Institution Ehe, deren unangefochtene Moralkrone den vom Ehemann begangenen Totschlag in der Bruch-Situation als Ausdruck seines gerechten Zorns milde lächelnd beinahe rechtfertigt. Heute, in einer Zeit, in der Ehen geschlossen und Ehen geschieden werden, fast gleich an der Zahl, sollte von mündigen Ehepartnern beiderseits verlangt werden können, die Ehe nicht als lebenslange Bindung zu betrachten, die keinen Widerspruch duldet. Ehen zerbrechen, jeden Tag, nicht erstrebenswert, aber durchaus natürlich, wenn sich zwei Menschen in verschiedene Richtungen entwickeln, die nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Man sollte auch im Strafrecht verlangen können, dass zwei mündige Menschen nicht zur Waffe greifen, sobald der andere einem lauwarmen Ehebett entflieht.

Der Berg aus lauwarmen Teebeuteln auf der Küchenablage wächst, von Erweiterungen meines Wissensstands erwarte ich für heute ansonsten nicht mehr viel. Serienmittwoch und Sofa sind in diesem Zusammenhang ein unwiderstehliches Abendprogramm.

Montag, 7. Dezember 2009

"Einsamkeit und Sex und Mitleid"

Um der unübersehbar glitzernden, flackernden, penetrant nach Bratwurst, Crepe, Glühwein oder Plätzchen duftenden Vorweihnachtsharmonie zwischendurch klammheimlich zu entfliehen, könnte man sich die maximale Katastrophe an Heiligabend ausmalen. Brennende Weihnachtsbäume, verkohlte Gänse oder unsäglich schiefe und dabei so gutgemeinte O-Du-Fröhliche. Kleinere Katastrophen wie ein lächelndes Dankeschön an die Oma für den selbstgestrickten pinken Glitzerschal. Reifungsprozesse neigen dazu, von Großeltern über Jahre hinweg unbemerkt zu bleiben.

Man könnte auch zu Helmut Krausser greifen. Dessen Erzählung "Einsamkeit und Sex und Mitleid" beginnt mit einem jungen Mann, dem Heiligabend nicht danach ist, sein Alleinsein biertrinkend in einem der unzähligen Berliner Dönerläden zur Schau zu stellen. Zur Wahl bleibt der Heimweg, er lässt sich ein Bad ein und fühlt sich, nackt und bei heruntergelassenen Rollläden seltsam beobachtet. Er überwältigt eine verschreckte Einbrecherin, die hauptsächlich seinen Kühlschrank geplündert hat und plündert mit ihr die letzten Reste - eine Flasche Aldi-Nord-Champagner für verklemmte Kundschaft.

Bild: libri.de

"Es hätte Lokale gegeben, wenigstens ein paar türkische Kneipen, denen Weihnachten vollkommen egal war. Vincent spürte aber wenig Lust, sich zu betrinken. Später am Abend konnten sich noch Kundinnen melden, das war an Weihnachten gar nichts Ungewöhnliches, meist zeigten die sich dann über die Maßen spendabel.
Die Aussicht, auf irgendeiner Sammelstelle für melancholische Einzelgänger hinzudämmern, seine Einsamkeit zur Schau zu stellen, widerte Vincent an, und er überquerte die Straße, mit hochgeschlagenem Mantelkragen. Schneeregen fiel; im Standlicht eines Autos wirkten die Flocken wie Schwärme winziger Vögel, leuchteten auf, bevor sie am Boden zerschmolzen. Das Treppenhaus roch muffig. Vincent nahm drei Stufen auf einmal."

Und da ist Ekki, der frühpensionierte Lateinlehrer, der am 24. die Barkeeperin seiner Stammkneipe für römische Kaiser begeistern kann.

Oder die Managerin Julia, die bei der Zubereitung des Weihnachtsmenüs - Sushi - beschließt, das ihr Mann ein Klotz am Bein ist und ihn ohne lange zu fackeln vor die Tür setzt.

Eine Geschichte separierter, gewollter oder unglücklicher Einzelgänger beginnt am Weihnachtsabend, verstrickt sich und wartet auf mit skurrilen Überraschungen. Es wird Mai, irgendwann, und noch später, manche bleiben einsam, manche drehen durch, manche finden sich selbst oder jemand anderen, der ihnen dabei hilft. Es ist viel Sex in diesem Buch, ein bisschen Mitleid. Und bissige Normalität, Ironie in einer zum Platzen gefüllten Harmonieseifenblase aus Glühweingeruch. Für Plätzchen bleibt zum Glück immernoch Zeit.

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Popkulturelle Subjektivität

Vergangene Epochen der Frauenbewegung umschwebt ein Schleier der Unsexyness. Kapitale Vorurteile, die junge Frauen meiner Generation in der Regel davon abhalten, sich überhaupt mit der Thematik auseinanderzusetzen. Um sich als Frau eine moderne persönliche Klasse zuschreiben zu können, assoziiert man sich nicht gern mit Altlasten, seien die sozialen Verurteilungen auch noch so objektiv falsch.

Nicht zuletzt als Folge daraus wird heute auch von Feministinnen kommuniziert: Feminismus ist sexy, macht frei und selbstbewusst und ist allem voran ein großer Spaß. Man findet für jede Bewegung schnell neue Schubladen, die nächste lautet Popfeminismus und wird assoziiert mit sämtlichen erfolgreichen Frauen von Charlotte Roche bis Silvana Koch-Mehrin. Dieser sei zu unpolitisch, undurchdacht, unterstütze lediglich unser aktuelles Modell einer Konsumgesellschaft und deren oberflächliche Populär- / kurz Popkultur, biete keine wesentlichen Auswege aus den Strukturen des Patriarchats.


Feminismus ist sexy. Um nicht in Girlie-Kategorien abzurutschen muss jedoch weiter definiert werden. Das Statement meint keineswegs eine weibliche Anziehungskraft in Form der intermedialen Fleischbeschau, vielmehr geht es um Freiheit und Unabhängigkeit, um einen intelligenten Umgang mit sich selbst als Frau, um die Schönheit in der Überwindung unterdrückender Lebensformen. Sexy ist die Zufriedenheit der Selbstverwirklichung. Die Integration der Populärkultur in heutige Feminismen ist eine notwendige zeitgeschichtliche Weiterentwicklung, in der Frauen mit Erfolg für sich nutzen, um männlich dominierte Strukturen aufzubrechen, wie die riot-grrrl-Bewegung zeigt:

„Mädchen und junge Frauen, die sich der "riot grrrl"– Kultur zugehörig fühlen,
reorganisieren kulturelle Codierungen, um ihnen neue und oppositionelle
Bedeutungen zu geben. Innerhalb der männlich dominierten Subkulturen
wie der Punk- oder Hardcorebewegung gelingt ihnen durch Subversion,
Ironie, Überzeichnung und Spiegelung eine Politik, die durch Irritation das
patriarchal konstituierte Mädchen- und Frauenbild zerstört. So werden neue
Handlungs- und Darstellungsebenen für Mädchen und Frauen erkämpft.“
Sabisch, Katja: Im Zeichen des Postfeminismus - postfeministische Zeichen?

Der herandiskutierte Makel des Popfeminismus ist bei näherer Betrachtung kein wirklicher. Indem der Feminismus sich aus einer rein politischen Ebene der kulturellen öffnet, ergeben sich eine Vielzahl von Möglichkeiten für Frauen, um in breiteren Gesellschaftsschichten als eigenständiges Subjekt wahrgenommen zu werden. Unsere Kultur bestimmt den Jetzt-Alltag durch Medien, Musik, Literatur oder bildende Kunst oftmals wesentlich direkter als die Politik. Es gilt auch hier, Klischees über starke und schwache Geschlechter auszuräumen, bröckelnden Putz zu beseitigen für freie Persönlichkeiten auf beiden Seiten. Beispielhaft ist die Diskussion über die männlich dominierte öffentliche Wahrnehmung von BloggerInnen - während einige Netzhengste die offline-Rezeption beherrschen, bleiben mindestens ebenso qualitativ hochrangige Blogs von Frauen in der Regel unerwähnt [mehr zum Thema in einem Artikel von Verena Reygers beim Freitag].

Popkultur ist ein fließender Begriff, omnipräsent und ungreifbar. Ebenso wie Kultur nicht greifbar sein kann, birgt eine vorrangig kulturaffine Form des Feminismus die Gefahr, in deren stetiger Veränderung unterworfenen Strukturen zu zerrinnen. Um der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Frauen ein dauerhaft gleichberechtigtes Gepräge zu geben ist es unumgänglich, sich der Politik und vor allem des Rechts zu bedienen.

Das Recht selbst als Mittel der Veränderung ist jedoch ein verfängliches Netz, sowohl als maskulinistisches Machtinstrument wie als System der Konservierung eines bestimmten Gesellschaftsmodells. Wir stehen als Einzelne vor dem Gesetz, verantworten uns für individuelles Handeln, besitzen Freiheiten und Pflichten, fordern und werden gefordert - von Seiten des Staates sowie im Privaten. Das Recht geht dabei von autonomen, unbelasteten Subjekten aus, worin manche einen vorrangig männlich geprägten Diskurs sehen, der lediglich die maskuline Fantasie eines unabhängigen, separierten Einzelnen transportiere (vlg. Sonja Buckel: Zwischen Schutz und Maskerade - Kritik(en) des Rechts). Dem werde ich aus heutiger Perspektive widersprechen. Das Ziel ist nicht, aus Rücksicht auf Mutterschaften Frauen eine grundsätzliche Autonomie abzusprechen. Der Versuch, kollektivistische Fiktionen auf eine vom Individualismus geprägte Gesellschaft zu projezieren, wird immer ein Versuch bleiben. Davon ausgehend muss die für Männer reale rechtliche und soziale Autonomie ebenso für Frauen gelten, von ihnen ebenso beansprucht werden, sodass zwei unabhängige Subjekte die Verantwortung für eventuellen Nachwuchs zu gleichen Teilen tragen.

Worin also liegt der Gewinn, diese undurchdringliche Materie männlicher, hoheitlicher Machtkonservierung als Terrain der Auseinandersetzung im Ganzen abzulehnen? Das Recht als politisches Fundament wird dadurch nicht fassbarer, nicht gerechter und wird weiter bestimmen, wie wir leben. Wenn wir emanzipatorische Projekte darin zu den Akten legen wird die Abtreibung weiter ein Tötungsdelikt sein, werden Ehegattensplitting und Herdprämie weiter die Wohnzimmer prägen. Solange das Recht tradierte Rollenbilder zementiert werden die daraus resultierenden steuerlichen oder anders gearteten "Vorteile" in Anspruch genommen, weil es bequemer ist, und billiger. Ebenso lange werden sich autonome Frauen für ihre Freiheit rechtfertigen müssen.

Radikale Subjektivität. Die Synthese von Feminismus und Pop allein wird das Heimchen nicht hinter dem Herd hervorlocken.

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+ Sonja Buckel: Zwischen Schutz und Maskerade - Kritik(en) des Rechts
+ Melanie Trommer: Feminismus 2010 - von Politik zu Popkultur?

Dienstag, 1. Dezember 2009

Plastikglanz

Welt-Aids-Tag. Rote Tweets durchlaufen beständig meine Timeline, das Mittagsmagazin wartet auf mit einem Interview eines aidsinfizierten deutschen Ehepaars, in der Mensa gibt es Kondome umsonst. Der Papst hüllt sich in Schweigen während ich in Gedanken mit Jagdbombern über Kontinente fliege und Präservative vom Himmel regnen lasse. Schweigen ist angebrachter als alles, was man heute aus den Mündern katholischen Kirchenoberhäupter erwarten könnte, zumal sich diese heute zumindest in einer Hinsicht zuprosten: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet sich für die konservative Reaktion, für Sonntagsschutz und gegen das Gespenst "Turbo-Kapitalismus", Schloss und Riegel für die Konsumgeilheit in einer ohnehin besinnlichkeitsfreien Adventszeit.

Die Folgen eines heute in Kraft getretenen Lissabon-Vertrags werde ich weder mit roten, noch mit rosa Schleifchen versehen. Der politische Adventskalender startet mit zwei neuen Amtsträgern ohne klar definierte Kompetenzen, mit persönlicher Unbelecktheit in europäischen Angelegenheiten.

In einer kurzen Mittagspause die Nachricht, dass nun beide harten Jungs aus Aachen wieder Hofgang statt Ausgang haben. Die Menschen von Essen bis zum Niederrhein können sich beruhigt ins vorweihnachtliche Kaufhausgedränge begeben, das Warenhaus stirbt erst nach dem Vierundzwanzigsten.

Die Kumulation der Ereignisse an einem ersten Dezember zieht an mir und meiner studentischen Existenz in der Heidelberger Altstadt voller Plastikglanz vorbei wie ein kurzer Glühweinrausch, zuckersüß überwürzt, Qualität spielt erst im Abklang eine Rolle. Die Kopfschmerzen werden auf postweihnachtliche Januartage verschoben.

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+ Pressemitteilung zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts // Berliner Adventssonntage
+ "Sonntags bleibt der Laden zu" - der Kommentar beim Freitag
+ "Was steht im EU-Vertrag? - die FR zum Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags

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