Glücklicherweise sind es nicht lediglich Spuren der Müdigkeit, die mich das vergangene Wochenende Revue passieren lassen, sondern Menschen, Musik, Stil und Nachtkultur. Um das Erlebte in eine einigermaßen logisch nachvollziehbare Ordnung zu bringen, sollte ich wohl chronologisch vorgehen.
Donnerstag, 24. Sept., 17:30 Uhr: Ankunft in Hamburg, Hauptbahnhof. Meinen karierten Rollkoffer hinter mir her zerrend bewege ich mich Richtung U-Bahn, Gepäck bei Bekannten abstellen, keine Zeit für längere Zwischenstops, da wir nicht vorhaben, uns allzu viel des dichten Programms entgehen zu lassen. Also zurück in die U3 bis St. Pauli.
First Stop: Doktorjewski treten auf, in der Meanie Bar am Spielbudenplatz. Die kleine Kneipe packed with people, inmitten von Menschen mit Astraflaschen singt ein hellblonder Typ in ausgewaschenen Jeans über Revolutionen zwischendurch, eine Frau namens Katharina, die ihn benutzen soll, zusammen mit einem braungelockten Typen, rotzig-poppiger Deutschpunk at its best. Die Akklimatisierung funktioniert auch für mich mit einem kalten Astra in der Hand ganz wunderbar, irgendwie machen wir das ab jetzt immer so, mit dem neuen Bier kommt neue Musik. Mit ab und an leicht verwirrtem Blick den Lageplan zückend schlagen wir uns weiter durch den Kiez, sehen einen berührenden Björn Kleinhenz in der Hasenschaukel und drei schwächelnde Elfen aus New York, zusammengesetzt als Au Revoir Simone im Imperial Theater. Während die letzten nicht in der Lage sind, mich mit ihren unglaublich gewollt märchenhaften Keyboardklängen und wehenden Stimmchen zu überzeugen, bin ich hin und weg von der Musik des Schweden Kleinhenz. Er steht einfach da und singt, als würde er niemals irgendetwas anderes tun, begleitet sich selbst mit einer einfachen Akustikgitarre. Eine Frau mit kurzen weißblondierten Haaren lehnt neben mir an der Wand während ihr Tränen über die Wangen rinnen, das beste Kompliment, was dieser Mann von ihr bekommen kann. Ich stehe daneben, angerührt. Zum Schluss verpassen wir die letzte U-Bahn und begeben uns auf eine windig-kalte nächtliche Odyssee per Nachtbus und Taxi durch Hamburg.
Nach einem Tag mit Läden gucken, dem besten Apfelwalnusskuchen der Welt im Yoko Mono // Karoviertel und einigen weiteren Cappuccinos finden wir uns auch am Freitagabend am Spielbudenplatz wieder. Dort entern wir ohne große Umwege den D-Club um zu Pöbelei und Poesie die Arme in die Luft zu reißen, denn die Jungs von Auletta wollen mit uns pöbeln und machen mich tanzen zu ihrer mit rockigen Gitarrenriffs unterlegten Straßenpoesie, die Nacht nimmt einen guten Anfang. Ein paar Straßenecken weiter kehren wir in die Hasenschaukel zurück um mit Dan Costello weiterzutanzen. Der New Yorker kreuzt mit Hut und Gitarre auf, die Location ist auch heute wieder voll, immer mehr festivalstreunende Menschen drängen sich in der Tür, auch wenn man drinnen keine Gliedmaßen weiter als 2 Zentimeter vom Körper wegbekommt. Ich unterhalte mich nach dem Konzert noch mit ihm als ich zwei seiner drei Alben erstehe, ich kann any price dafür bezahlen, er will einfach nur, dass jeder seine Musik haben kann, der sie gerne möchte. Ich kann nur sagen: es lohnt sich zu wollen. Der retrogitarrige Indietanzmusiktouch tut gut, in der U-Bahn, morgens zum ersten Kaffee oder wann und wo immer, tanzen und Bier trinken dazu funktioniert ebenso.
Der letzte Abstecher des Abends geht danach ins Knust zum abgedrehten Sound von Katzenjammer. Die vier Damen kommen dabei nicht etwa wegen ihres Namens aus Deutschland, sondern aus Norwegen und jammern nicht, sondern machen Tanzmusik vom Allerfeinsten. Dazu benutzen sie eine eigenwillige Instrumentkombination aus unter anderem Banjos und Mandolinen und fragen das Publikum, ob jemand on a date hier sei. Wer mit seinem Date nicht nur knutschen sondern rumspringen und Leben genießen will, dem seien die vier Damen wärmstens ans Herz gelegt, starke Frauen mit unglaublich gutem Sound.
Der dritte Festivalabend steht also noch aus. Der Koffeinkonsum am Tag erreicht seinen wochenendlichen Höhepunkt während der Astrakonsum im Vergleich zu den vergangenen beiden Nächten deutlich abfällt, Ermüdungserscheinungen, die sich aber in Sekunden verflüchtigen als wir uns von Orka feat. Yann Tiersen gleich zu Beginn des Abends im Übel&Gefährlich den Sound ihrer selbstgebastelten Instrumente um die Ohren dröhnen lassen. Ich brauche etwas länger als die anfänglichen Sekunden, um mich an die zunächst widerwillig als Lärm empfundene Musik zu gewöhnen (es muss ja etwas bedeuten, wenn der zu Recht gefeierte Komponist Yann Tiersen mit ihnen durch Europa tourt), bis ich beginne, die Strukturen darin zu entdecken. Nicht unbedingt empfehlenswert als Hintergrundmusik für ein gemütliches Frühstück, denn Orka sind besitzergreifend. Man sollte die Musik lautdrehen und sich flach auf den Boden legen, für andere Tätigkeiten lässt dieser Sound keinen Millimeter Platz. Ich stehe schräg rechts von der Bühne und höre ihnen zu, ohne tanzen oder nebenbei im Takt mit dem Fuß wippen zu können, Orka müssen und wollen nicht tanzbar sein, denn wenn man die erste Schreckminute überwunden hat, sind sie melodisch, tief und beeindruckend.
Zwei Singer-Songwriter-Typen begleiten uns weiter durch die Nacht: zunächst der schüchterne Ian Hooper in der Washington Bar, der jedoch sichtbar aufblüht sobald er zu singen anfängt und dabei wahnsinnig rührend ist. Wax Mannequin in der Hasenschaukel verfolge ich hingegen nur am Rande, ab und an hinhörend während mich das samtige grüne Flohmarktsofa im hinteren Bereich der Bar vollständig in Beschlag genommen hat. Obwohl sich die Musik des Kanadiers von meinem Polstermöbelplatz aus unglaublich gut, neu, interessant und sowohl leichtfüßig-poppig als auch abgründig und darin irgendwie ergreifend anhört, die weichen Sprungfedern sind stärker. Sobald aber der Auftritt der wundervollen Simone White näherrückt, scheint auch wieder ein bisschen Leben in meine asphaltgeschundenen Füße zu kommen. Trotzdem nehmen wir eines der Velotaxis zum Grünspan am Ende der Großen Freiheit, lassen uns also auf einem umgebauten Fahrrad über den voll und ganz vom Saturday Night Fever befallenen Kiez tragen. Simone White hat schon angefangen zu singen als wir die Location erreichen. Sie sitzt auf einem Hocker, nippt zwischen den Liedern an einer Wasserflasche und zerschneidet daraufhin den Raum mit ihrer glasklaren Stimme, die mich ebenso einhüllt wie eine Fleecedecke sonntagmorgens auf der Couch. Dabei singt sie von großen Gefühlen in kleinen Geschichten, unterlegt nur von ihrer Gitarre, und von Krieg und davon, dass die Amerikaner vergessen haben, wofür sie eigentlich kämpfen. Dieses Konzert ist ohne Zweifel mein mit großem Abstand nachträglich favorisiertes Erlebnis rund um die Reeperbahn, ich lasse mich auf einen Barhocker fallen und genieße.
Zwei Singer-Songwriter-Typen begleiten uns weiter durch die Nacht: zunächst der schüchterne Ian Hooper in der Washington Bar, der jedoch sichtbar aufblüht sobald er zu singen anfängt und dabei wahnsinnig rührend ist. Wax Mannequin in der Hasenschaukel verfolge ich hingegen nur am Rande, ab und an hinhörend während mich das samtige grüne Flohmarktsofa im hinteren Bereich der Bar vollständig in Beschlag genommen hat. Obwohl sich die Musik des Kanadiers von meinem Polstermöbelplatz aus unglaublich gut, neu, interessant und sowohl leichtfüßig-poppig als auch abgründig und darin irgendwie ergreifend anhört, die weichen Sprungfedern sind stärker. Sobald aber der Auftritt der wundervollen Simone White näherrückt, scheint auch wieder ein bisschen Leben in meine asphaltgeschundenen Füße zu kommen. Trotzdem nehmen wir eines der Velotaxis zum Grünspan am Ende der Großen Freiheit, lassen uns also auf einem umgebauten Fahrrad über den voll und ganz vom Saturday Night Fever befallenen Kiez tragen. Simone White hat schon angefangen zu singen als wir die Location erreichen. Sie sitzt auf einem Hocker, nippt zwischen den Liedern an einer Wasserflasche und zerschneidet daraufhin den Raum mit ihrer glasklaren Stimme, die mich ebenso einhüllt wie eine Fleecedecke sonntagmorgens auf der Couch. Dabei singt sie von großen Gefühlen in kleinen Geschichten, unterlegt nur von ihrer Gitarre, und von Krieg und davon, dass die Amerikaner vergessen haben, wofür sie eigentlich kämpfen. Dieses Konzert ist ohne Zweifel mein mit großem Abstand nachträglich favorisiertes Erlebnis rund um die Reeperbahn, ich lasse mich auf einen Barhocker fallen und genieße.
simone white (Quelle: reeperbahnfestival.com)
Dagegen kommen hinterher auch Kante nicht an, ein paar Meter weiter in der Großen Freiheit 36. Sie klingen rockig, die Texte sind naivpoetisch, sie legen sich ordentlich ins Zeug und spielen nicht schlecht, reißen mich aber doch nicht wirklich mit - keine Ahnung, ob das an meiner Müdigkeit liegt, an ihrem nach ein paar Liedern etwas eintönigen Sound oder daran, dass ich die blonde Metalmähne des Leadsängers nicht mag, vielleicht hört mein Auge mit.
Es ist 1:25 Uhr. Kante waren die letzten, wir können uns nun dem Kiez oder unserer Müdigkeit hingeben. Wir landen auf ein letztes Bier in der 3-Zimmer-Wohnung, einer wunderbar retrogemütlichen Bar, die tatsächlich aus einer Küche, einem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer besteht, wo man im letzteren auf dem Bett liegend Playstation spielen kann. Oder eben auf dem Wohnzimmersofa gammeln. Wir entscheiden uns für die verlockende Couch und trinken ein letztes Bier dazu bevor wir die U-Bahn nehmen. 3 Tage, vollgestopft mit neuer Musik, die mich begeistert und nach mehr schreien lässt - die Veranstalter des Reeperbahnfestivals sind den Erwartungen seines Untertitels new international music mehr als gerecht geworden. Schon unterwegs habe ich massenhaft Geld ausgegeben, um meinen Hamburgsoundtrack mit nach Hause nehmen zu können, wo ich mittlerweile angekommen bin und Simone White höre und weiß, wo ich nächstes Jahr am letzten Septemberwochenende wieder sein will.
Nebenbei habe ich lange nicht mehr so viel Döner gegessen wie an diesem Wochenende, für mehr Abendessen blieb meistens keine Zeit. Die letzten drei Tage vor der Bundestagswahl sind zumindest politisch weitestgehend spurlos an mir vorbeigerauscht, und ich frage mich, ob es denjenigen, die noch eifrig Informationen konsumiert haben, nicht ähnlich ergangen ist. Ein Blick in die Hamburger Morgenpost im Café hat mich nicht weiter neugierig gemacht auf die immer hohler werdende Wahlkampfmakulatur. Gestern Abend wieder in Heidelberg angekommen stehe ich vor vollendeten Tigerententatsachen und wünsche der SPD eine gute Regeneration auf der Oppositionsbank. Hello again Atomkraft, not nice to meet you.
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