Freitag, 27. November 2009

Gespenster jagen

Der Mangel beginnt mit Jamaika im Saarland, einer grauen Staatsmännin und müßigem Politgeplänkel um lieblose Seifenblasen. Während manche mir anhand meines Artikels über die Besetzungen im Rahmen des aktuellen Bildungsstreiks attestieren, ich würde lieber Cappuccino trinken als an der Umsetzung von Idealen zu arbeiten, attestiere ich den Mangel an selbigen auf weiter Flur.

Das Zukunftsbild einer Tochter wird sich in ein paar Jahren noch immer zu fragen haben, ob sie sich in farblose Hosenanzüge zwängen muss, die Weiblichkeit gut hinter einem Berg aus neutraler Kälte und Kalkül gehalten, um in Schlüsselpositionen standzuhalten. Oder ob sie nach dem von-der-Leyenschen Traum besser den zu Scharen angewachsenen Nachwuchs morgens in die Kita bringt, um sich bei der Arbeit in Nebenrollen zu fügen.

Vielleicht werden wir uns ebenso zu fragen haben, wie wir jung und naiv die Grünen wählen konnten, sobald die letzte Claudia Roth abgesägt ist und man dauerhaft Gefallen findet an Reggaekoalitionen zwischen blühenden Landschaften und sozialem Abstieg.

Bis es soweit kommt verlieren sich die zu Beginn so traumtänzerisch verliebten schwarzgelben Koalitionäre in alten und neuen Gespenstern wie Erika Steinbach und dem in seiner Unfähigkeit unbequem gewordenen Ex-Verteidigungsminister, verliert auch der Blut-und Geldadel auf neuem Posten seinen Glanz. Die Zeiten sind vorbei da Theo strahlte, sein neuer Kompetenzbereich beginnt bei Schadensbegrenzung. Die Steuersenkungsblase droht zu platzen, der Arbeitgeberverband als letzte Bastion des konservativen Spektrums erteilt den wilden Fantasien einer fantasielosen Kanzlerin bittere Absagen, dabei wollte sie doch nur schnell ein bisschen Applaus.

Um den unpässlichen Fehlstart im Verborgenen unter alte Teppichkanten rutschen zu lassen plänkelt man stattdessen weiter um Betreuungsgelder für die ausschließliche Kindererziehung am heimischen Herd. Die Frage, ob Gutscheine oder Bares für Ursulas Schätzchen zu befürworten seien, tritt hinter dem Unwillen zur Bereitstellung ausreichender Betreuungsplätze zurück. Über den Ärger einer Feststellung, dass bei der fixen Idee für Kinder weder deren Bildung, noch Integration, alleinerziehende Berufstätige oder Doppelverdiener in den gedanklichen Dunstkreis der ErfinderInnen gelangten, droht die Resignation zu obsiegen. Die Tagespolitik besteht bereits zu weiten Teilen aus Maßnahmen zur Maximierung der Ungerechtigkeit. Ich bin, zum Glück, nicht Deutschland.

Den politischen Gefrierschrank nach einem angewiderten Blick wieder zuzuschlagen beseitigt nicht seine Existenz. Mit meinem Gang zum Briefkasten, noch im Halbschlaf, öffne ich die Tür jeden Morgen aufs Neue um nachzusehen, ob der Inhalt bereits schimmelt, ich lasse mir die Geschehnisse des Vortags zur ersten Tasse Kaffee in Papierform dokumentieren. Wenn ich Minuten später das Haus verlasse müsste ich jeden Morgen schmerzlich konsequent fragen, warum es sich Angela und ihre karrieregeile Familie auf den Chefsesseln der Republik so bequem machen konnten -

warum die Kätzchen unter den Kommilitoninnen Haut und Lächeln schaustellerisch zu kurzem männlichen Anklang führen bis sie eines Tages glauben, weit genug zu sein, um in den Hosenanzug zu wechseln. So lange grassierende Miesekatzigkeit den Wunsch nach ehrlicher Weiblichkeit verdrängt wird die Familienministerin in reaktionärer Ungestörtheit weiter die Mutter vor der Frau platzieren.

Aus Mangel an Idealen wärme ich mich weiter an Takeawaybechern, die Weigerung, weder einem pragmatisches Katzenlächeln noch der gedanklichen Enge vermeintlich offener BesetzerInnen in der Uni Zutritt zu meiner Welt zu gewähren. Man kann sich wundern, wie ich fehlende Ideale an den Pranger ketten kann während ein bildungsstreikendes Uni-Umfeld diesen Mangel krampfhaft zu beheben versucht. Man wird das Wundern einstellen, wenn man die seltsamen Blicke gesehen hat, mit denen seltene Gäste der Besetzung ohne gelbes Zugehörigkeitsaccesoire bedacht werden. Es soll vertraute Gemütlichkeit herrschen bei der Selbstbeweihräucherung zur erträumten Revolte.

Wir werden uns, alten Tiraden über Ideale hinterherhinkend, keinen Gefallen tun. Die Zusammenrottung in harmonischen Herden, welche stillschweigend die Angepasstheit ihrer Mitglieder verlangen um sich dem friedlichen Flow nicht zu entziehen, werden so lange an alten Pathos geklammert in Embryonalstellung verharren, bis sie selbst nicht mehr an Umstürze glauben. Es sieht aus, als müsste ich noch eine Weile an meinem Heißgetränk festhalten und mit milchschaumbenetzten Lippen nach den Unebenheiten im Einheitsbrei der sozialen Kälte Ausschau halten. Solange ich dabei keinen Hosenanzug trage kann es immerhin noch schlimmer kommen.

read more:
+ Studenten / Straßen / 1997 - Johannes Finke bei flannel apparel
+ Scharfe Kritik am Betreuungsgeld - der Tagesspiegel
+ Nach dem Jung-Rücktritt - Spiegel Online

Nachtrag
Wenige Minuten, in denen ich in Worte vertieft war, haben Ursula von der Leyen nach Jungs Rücktritt zur Arbeitsministerin gemacht. An die Stelle verhinderter staatsmännischer Qualitäten tritt ein nur aus mütterlicher Perspektive beschriebenes Blatt. Mir fehlt das Fazit, arbeits- und frauenpolitisch, das letztere Themenressort markiert ohnehin eine leere Seite im Koalitionsvertrag.

Montag, 23. November 2009

Schräge Gitarren und ein letztes Bier

An einem Montagnachmittag Ende November beginnt die Sonne schon um 15 Uhr, sich langsam zu verabschieden. Mein Aufenthalt am Schreibtisch ist noch jung, meine Tasse lauwarm. Zögerliche Konfrontation mit Kleingedrucktem. Die zur Untätigkeit überwältigende mondayness lässt sich mit grünem Tee kaum abschütteln, sodass ich stattdessen dubiose Programme in den Tiefen meiner Mediathek graben lasse und dabei dieses Schmuckstück wiederfinde:


Tocotronic // Der achte Ozean

Schräge Gitarrentöne geben ein Gefühl durchtanzter Nächte, das letzte Bier aus dem WG-Kühlschrank, das letzte Lied bevor man ins Bett fällt ohne vorher das Augenmakeup von den Lidern zu kratzen.

Freitag, 20. November 2009

Liebe Besetzerinnen und Besetzer,

ihr fragt euch manchmal, in den besetzten Hörsäälen, euren Freiräumen, warum so viele vorbeigehen - trotz unübersehbarer Plakate eures Alternativprogramms, Umsonst-Kaffee und dem Hauptargument, dass es ihr nicht gutgeht, der freien Bildung. Warum so viele KommilitonInnen ignorant an der Freiheit vorbei in die Vorlesung strömen und danach statt zu euch in die Mensa, zum Lernen in die Bibliothek oder nach Hause.

Hier in Heidelberg habt ihr euch einen kleinen Kosmos geschaffen im Hörsaal 14, Freiheit, Kaffee und Kuchen für alle, wenn denn nur alle kämen. Man hat mir erzählt die anderen wären vielleicht zu resigniert oder hätten Angst vor gesellschaftlichen Konsequenzen, das Hausrecht liege nunmal nicht in eurer Hand.

Die anderen sind zum Beispiel ich, als Studentin und Bloggerin. Warum ich dieses Mal nicht zur Besetzerin wurde hat mehr Gründe als die Schwarzweißmalerei über Spießer und Revoluzzer. Ihr tretet ein für Ideale, die für sich betrachtet von einer überwältigenden Mehrheit der Studierenden Zustimmung finden. Eine Reform des Bologna-Prozesses wird mittlerweile auch von der Politik zu Recht als notwendig betrachtet, die soziale Selektion durch Studiengebühren hält außer vereinzelten Rechtskonservativen auch niemand mehr für eine gute Idee, ebenso das Ziel, mehr studentische Mitbestimmung an der Uni durchzusetzen, genießt vor Ort weitestgehend Beifall.

Das erste Problem: die endlosen Listen eurer Forderungen wirken planlos und spiegeln das wieder, was sie sind - der Kompromiss eines Plenums, in dem niemals mehr als ein Minimalkonsens zustande kommt, da das Veto einer einzigen Person jegliche Vorhaben zum Scheitern bringen kann.

Die aktuellen Proteste haben noch keinen neuen Rudi Dutschke hervorgebracht, die Vertretung nach außen wirkt verwirrt und stets darauf bedacht, nichts zu äußern, was nicht vorher im Plenum abgesegnet wurde. Ihr habt Angst vor einer Spaltung sofern ihr eure Vorgehensweisen nicht einstimmig beschlossen habt. Dabei hält die lauwarme Konsenssoße vermutlich mehr Leute davon ab, überhaupt teilzunehmen als eine Spaltung je drohte. Für einen neuen Rudi Dutschke ist kein Platz in euren Plenarsitzungen, er würde auf den unteren Plätzen der Rednerlisten herumdümpeln und den Saal verlassen, bevor er eines Tages zu Wort käme. Dafür ist das Plenum weiter friedlich und geordnet, tumultartige Szenen, die Würze, wird man vermissen.

Kindliche Naivität tropft herab von euren Plakaten zum Vortrag über regulierte Anarchie in Afrika und wie man sich daran ein Beispiel für die politische Situation vor Ort in Heidelberg, in Deutschland nehmen könnte. Anarchie ist offenbar seit den Siebzigern immernoch machbar, Herr Nachbar. Ich bin zu sehr mit dem Pragmatismus der Jetzt-Epoche verhaftet, um an die Träume vergangener Jugendzeiten glauben zu können.

Doch vielleicht sollten mich anarchistische Spinnereien weniger geringschätzig sein lassen als das Kaffee-Chaos in friedliebender süddeutscher Gemütlichkeit. Immerhin ein Häppchen politischen Inputs zwischen nervenaufreibenden Debatten um Alltäglichkeiten. Die Besetzung von Universitäten in ganz Deutschland hat dem Streit um die Bologna-Reform neuen Brennstoff gegeben, knapp einhunderttausend SchülerInnen, StudentInnen und sonstwie an Bildung Interessierte waren diese Woche auf der Straße, um sich einzusetzen. Eine großartige Leistung, die ich ebensowenig geringschätze. Veränderung im Bildungssystem ist dringend notwendig und Genugtuung angebracht im Angesicht der grauen Politprominenz, die sich einst auf den Weg nach Italien machte, um der guten Reputation deutscher Hochschulabschlüsse den Kampf anzusagen.

Viele von uns stammen aus Elternhäusern, in denen Protest zum guten Ton gehört. Der CDU-nahe Studentenbund RCDS, der bisher als einziger den Bildungsstreik offen verurteilt, kann unter den Studierenden nur eine kleine Gemeinde unverbesserlich rückständiger Anhänger um sich versammeln. Die anderen sind nicht etwa abwesend, um sich von früheren Generationen abzugrenzen - sie sind der Diskussionen darum, ob man nun mit Idealen oder realistischen Forderungen an öffentliche Stellen herantreten will oder ob eine bestimmte Grußformel an den Rektor nun zu provokativ ist oder nicht, des Plenierens also, müde. Der Protest, die Besetzungen, die Demonstrationen an sich sind nicht zu verurteilen sondern eine natürliche und überfällige Reaktion des Bulimie-Lernens als ständiges Begleitsymptom eines Bachelorstudiengangs. Wir alle sind auf der Suche nach identifikationsfähigen Idealen, nach etwas, für das es sich heute lohnt, sich einzusetzen. Wir werden sie bei euch nicht finden, da ihr selbst nicht in der Lage seid, zwischen Systemspinnereien und Forderungen für den pragmatischen Uni-Alltag zu differenzieren. Es sieht aus, als streikte man für hehre Ziele und Biobrötchen in der Studi-Cafeteria.

Liebe Besetzerinnen und Besetzer, ich werde jederzeit wieder demonstrieren, für unabhängige und freie Bildung, die diesen Titel verdient. Ich werde jedoch nicht die Rednerlisten von hinten aufrollen um euch zu erzählen, dass Basisdemokratie noch keinem wehgetan hat. Und dass Vorträge über Anarchie in Afrika nicht über die eigene politische Trägheit hinwegtäuschen können. Vielleicht sehen wir uns wieder, beim nächsten Mal.

Montag, 16. November 2009

Berlin

Zurück von Raubzügen mit Blicken, die Füße halbtot wieder unter dem Schreibtisch platziert.

Ich bin versucht, eine Hommage an die Stadt mit tausend Gesichtern zu schreiben, die am vergangenen Wochenende weitere Tropfen meines Herzblutes aufgesogen hat. Über Babykotze in Prenzlauer Berg und dessen wehrhaft heile Welt, die Dichte von Biosupermärkten getarnt zwischen Szenecafés oder Gesichter ohne Hoffnung in der U-Bahn neben Hippieröcken und bleistiftgrauem Business. Falafelduft aus Kreuzberg hängt hartnäckig in meinem Karoschal, meine regennassen Finger wärmen nun ein paar metallicblaue Handschühchen aus Mitte, Bilder von Straßengraffiti mein Herz. Der Süden empfängt mich kompromisslos mit schwäbischem Akzent im Flieger.

Statt ausufernder Worte Fotografie gegen die Schwülstigkeit meines Anflugs von Melancholie.


Mittwoch, 11. November 2009

regentagssoundtrack

Der dritte Regentag in Folge und die Woche war bisher nicht unbedingt geeignet, Herzen zu erwärmen. Sonntagabend aus Stuttgart zurückgekehrt stehe ich bereits wieder mit einem Bein im Flugzeug nach Berlin. Morgen früh um halb acht, wenn die Welt noch nasser und kälter ist als ohnehin nehme ich den Zug zum Flughafen, mich festhaltend an obligatorischem Takeaway-Cappuccino, immerhin die Vorfreude bleibt.

Währenddessen hat Angela Merkel öffentlich festgestellt was sie schon lange weiß: sonnige Zeiten gab es gestern, heute ist Krise. Zum Frühstück bei grauem, verhangenem Himmel attestiert die FR Merkels Regierungserklärung eine neue Ehrlichkeit. Unverständnis für scheinheilige Wahrheiten bleibt kalt im Nacken kleben während sich eine neue alte Kanzlerin von den Regierungsfraktionen für unvermeidbare Funken an das Wahlvolk gerichteter Ehrlichkeit feiern lässt und der Außenminister ihres Vertrauens weiter mit aufgesetztem Lächeln über internationales Parkett irrlichtert.

Im Hintergrund spielen sich zwielichtige Szenen ab. CDU und FDP wollen die Welt zumindest für deutsche Männer wieder sonniger machen, neue Perspektiven müssen her, zum Beispiel in Erziehungs- und Pflegeberufen. Während Frau Merkel in ihrer Geschlechtsneutralität einen blinden Augapfel hütet, kommen vermeintlich benachteiligte Männer aufs politische Tapet. Da das role model der CDU, Ursula von der Leyen, einige Kinder und Karriere vorzuweisen hat, besteht für Schwarzgelb frauenpolitisch kein Handlungsbedarf. Während Männer nicht dazu ermutigt werden, ihren Erziehungsurlaub zu gleichen Teilen zu nehmen sondern lieber die Kinder und Eltern anderer zu betreuen, lockt von der Leyen weiter zu mehr Gebährfreudigkeit an den Herd. Angela Merkel nennt den eingestaubten Rahmen der Szenerie christliche Koalition der Mitte.

Währenddessen lege ich meine Wege durch die Stadt mit dem Fahrrad weiter im Regen zurück, konsumiere lauwarme Informationen, passiere zwischen Vorlesungen und Kaffeepausen klanglose Sit-Ins in der Uni und wünsche mir manchmal mehr Ideale, an denen ich mich aufwärmen kann.

read more: Charisma Reinhardt - Kolumne zur schwarzgelben Männerpolitik in der FR

rainy days soundtrack: iron&wine - jezebel

Montag, 9. November 2009

protestpoesie

in unserer Uni duftet es nach Kaffee und und frischgebackenen Waffeln. Vor dem Hörsaal 14 stehen Sofas und Cafétische, ein Infostand mit Flyern und vergleichbaren Druckerzeugnissen dient als Einfallstor zu neuer Selbstbestimmtheit, der Hörsaal ist besetzt. Ob unsere Uni nun wie die besetzten Universitäten in Österreich und Teilen Deutschlands auch brennt(<- Aktuelles bei jetzt.de), wollte ich heute in Erfahrung bringen.

Auf den Polstermöbeln liegen leere Gitarrenhüllen, meistens sitzt jemand daneben und spielt, zwischen anderen, die diskutieren oder sich zurücklehnen und ihren neugeschaffenen Freiraum betrachten. Im Hörsaal treffe ich Paddy, der sich bereiterklärt, mir ein paar Fragen zu beantworten.

Paddy ist kein Student und engagiert sich trotzdem, weil Bildung ein Thema für alle ist, wie er findet, seine kleine Tochter hat er dabei stets im Blick. Er fühlt sich wohl zwischen den StudentInnen, es gehe hier schließlich nicht um soziale Zugehörigkeit, sondern um das gemeinsame Ziel.


Aus welcher Situation ist die Besetzung in Heidelberg entstanden?
Am vergangenen Montag bei der Vollversammlung des Bildungsstreiks gab es eine Live-Schaltung mit dem besetzten Audimax in Wien, die Stimmung dort ist zu uns rübergeschwappt, sodass wir uns spontan dazu entschlossen haben, auch in Heidelberg einen Hörsaal zu besetzen, zunächst einmal aus Solidarität mit den Besetzungen in Österreich. Dann aber hatten wir nun diesen perfekten Zeitpunkt, um auch hier an den Bildungsstreik letzten Sommer anzuknüpfen und dachten, dass wir uns die Chance nicht entgehen lassen können, das, was aus der Situation am Montag nun entstanden ist, zu nutzen, um jetzt am Thema dranzubleiben, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen und weiter an der Sache zu arbeiten. Mittlerweile haben wir uns hier einen Freiraum geschaffen, jeder kann dazukommen, wir erklären und informieren in unserem Infocafé, das werden wir nicht freiwillig aufgeben.

Wie ist euer Kontakt zu Rektorat und Polizei?
Im Moment sind wir hier vom Rektorat geduldet, es wurde noch nicht mit Räumung oder ähnlichem gedroht. Klar, der Rektor kann diesen Zustand jederzeit aufheben, aber wir arbeiten auch selbst daran, die Situation weitestgehen zu entschärfen. Beispielsweise kümmern wir uns um die Raumverteilung, da wegen der Besetzung keine Veranstaltung ausfallen soll, schließlich wollen wir nicht zu verschlechterten Lehrbedingungen beitragen. Leider befinden wir uns zur Zeit auch nicht in konkreten Verhandlungen mit dem Rektorat, dahingehende Kontaktversuche von uns wurden bisher abgebrochen oder übergangen.

Unserer Generation wird oft mangelnder Idealismus vorgeworfen. Wie pragmatisch ist euer Protest?
Das stimmt, Pragmatismus ist in dieser Generation weit verbreitet. Das Problem ist jedoch zyklisch, jetzt müssen auch wir uns klarmachen, dass es ok ist, sich für seine Ziele einzusetzen. Und ich bin sicher, dass die Bereitschaft dazu wieder zunimmt. In Bezug auf unsere Ziele gibt es auch hier Pragmatiker und Idealisten. Der Protest wird maßgeblich von Studierenden getragen, da liegt es auf der Hand, das man erstmal mit universitätsinternen Forderungen startet, wie zum Beispiel die Einführung einer verfassten Studierendenschaft für mehr studentische Mitbestimmung. Allerdings wollen wir unsere Ziele auch der gesamten Bevölkerung nahelegen, es geht schließlich um freie Bildung, das ist ein Thema für jeden, generationsübergreifend. Wir wollen, dass sich die Leute fragen: was ist das eigentlich, freie Bildung?

Der Ruprecht, eine Heidelberger Studierendenzeitung, hat der Besetzung des Rektorats vergangenen Sommer unterstellt, dass der Rektor in derselben Situation 1968 womöglich Kaffee und Kuchen vorbeigebracht hätte.
Unser Protest ist definitiv ein anderer als 1968, wo die Gefahr jederzeit greifbar war, dass Leute zu radikalen Hardlinern werden. Wir gehen das Ganze etwas ruhiger an, sind offen für Neues und bieten dem Einzelnen mehr Freiraum. Im Gegensatz zu damals wollen wir unsere Ziele friedlich, mit Witz und Charme vermitteln und verzichten auf Militanz.

Wie schätzt du die Resonanz auf den Protest unter den Studierenden ein?

Wirklich schwer zu sagen. Ich kriege mit, das oft ein großes Interesse da ist, wir unterhalten uns viel mit den Leuten, die vorbeikommen. Um mitzumachen haben manche vielleicht zuviel Angst vor gesellschaftlichen Konsequenzen, oft spürt man auch einfach Resignation.

Womit wir wieder beim Pragmatismus wären.

Ja, stimmt. Dabei sind wir offen für alle, die Lust haben, sich zu engagieren. Es geht hier nicht darum, wie man jemanden findet, persönliche Sympathien sind zweitrangig. Wir setzen uns hier in einem offenen Diskurs gemeinsam für unsere Ideale ein, das ist das einzig Wichtige.

*

Als ich gehe spielt jemand anders auf dem Sofa Gitarre, weitere spülen Geschirr oder kochen. Einen Freiraum haben sie tatsächlich geschaffen, die Frage ist nur, ob die Besetzung unter dem Banner des Mottos #unibrennt tatsächlich zum Flächenbrand gereicht, wie Paddy findet. Das Ringen um Konsens in den Plenarsitzungen der BesetzerInnen ist hart, Diskussionsbedarf gibt es stets an allen Ecken und Enden. Während die Einen plenieren ist man anderswo noch lange in der Position, sich jeglichen Verhandlungen zu entziehen, womöglich hoffend, dass die angeregten Debatten mit der Zeit an Hitze verlieren. Die Sondierung der neuen Freiheit zeigt ein Lagerfeuer im Hörsaal 14, einen belebten Fleck am regengrauen Unimontag, mehr ein alternatives Café denn politischen Aktivismus. Bevor eine Generation zu Idealisten erzogen werden kann gibt es noch einiges zu tun, Unsicherheiten zu überwinden. Dabei stünde uns, könnten wir endlich aus dem Schatten unserer Eltern treten, der Protest ebenso gut zu Gesicht.

links:
+ bildungsstreik-hd.de
+ unsereuni.at

Donnerstag, 5. November 2009

front row kitten

Meinen Studiengang und mich verbindet zuweilen eine Art Hassliebe, Extreme zwischen der Empfindung als notwendiges Übel und Begeisterung für Inhalte von geballter politischer Brisanz. Die Strafrechtsklausur, die meine Aufmerksamkeit in den letzten Tagen und Wochen an Lehrbücher, Skripten, Urteile und Aufsätze gefesselt hat, liegt seit gestern, 18:17 Uhr hinter mir. Noch am gleichen Abend finde ich mich erneut am Schreibtisch wieder, die Augen auf dieselben Kommentare und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geheftet, nur die Lesart ist seitdem eine andere. In den Lernprozessen der vergangenen Wochen auf schematische Darstellungen und ein möglichst optimales Kurzzeitwissen bedacht, die modrigen Delikatessen zwischen den Zeilen nur abwesend gestreift, bringen mich ebendiese nun zurück an den Rand des Papierbergs zwischen Leselampe und Laptop.

Aufsehen erregen. Über beinahe ein Jahrhundert wurde wütenden Ehemännern, die ihre Frau auf frischer Tat beim Fremdgehen ertappt umgehend töteten, von höchster Stelle und ohne mit der Wimper zu zucken die Strafmilderung eines "minder schweren Falls des Totschlags" gemäß § 213 Strafgesetzbuch zugestanden, während Frauen in derselben Situation mit vermindertem Strafmaß keineswegs rechnen konnten.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass das deutsche Rechtssystem nach wie vor von Männern dominiert wird. An manchen Stellen nimmt die hierdurch entstandene Privilegierung des eigenen Geschlechts jedoch besonders skurrile Züge an. Rechtsprechung und Literatur nehmen in den Fällen des § 213 einen Ehebruch als Provokation des getöteten Opfers an, wodurch dem betroffenen Täter bei einer Tötung im Affekt sein gerechter Zorn als strafmildernd angerechnet wird. Dass dies in den meisten Fällen für Ehemänner (selbst wenn die Trennung bereits vollzogen war und die Scheidung bevorstand), jedoch keineswegs für Frauen gilt, zeigen einschlägige Urteile des BGH bis weit in die 70er Jahre. Auch heute herrscht in der Rechtslehre weitgehend Einigkeit darüber, einen Ehebruch weiter als Provokation des Opfers im Sinne von § 213 zu betrachten - die Einigkeit darüber, lediglich Frauen in einer solchen Situation als agent provocateur zu betrachten, schwingt im Subtext mit.

Dabei werden Frauen in der Rechtsprechung über Tötungsdelikte in Bezug auf das Strafmaß nicht durchweg benachteiligt. Viel weiter verbreitet ist die Situation, dass Frauen als abhängig und maßgeblich geprägt durch die psychische Gebundenheit an ihr soziales Umfeld betrachtet werden, während Männer als grundsätzlich autonome Handlungssubjekte gelten - hieraus folgt ein höheres Maß der Vorwerfbarkeit bei männlichen Tätern. Die dahingehende Korrektur dieser Schieflage, dass sowohl Frauen zu autonomen und damit höher zu bestrafenden Handlungen durchaus in der Lage sind und umgekehrt auch die psychischen Grenzen der Verantwortlichkeit von Männern anerkannt werden müssen, lässt weiter auf sich warten.

Bis dahin kann ich mich nur wundern über die Kätzchen in der ersten Reihe, die, von Papa zum Studienbeginn mit dem sozialadäquaten Burberry-Schal ausstaffiert, in der Vorlesung belustigt kichern, als die geschlechterspezifische Problematik von § 213 StGB angeschnitten wird. Der Hinweis, dass das Thema keineswegs mit dem Ende der Siebziger Jahre ebenso begraben wäre, lässt sie nur lauter kichern, sie haben es sich doch da vorne bereits hübsch zurechtgemacht. Die front row kitten von heute scheinen ebenso bereit, bei der Lösung einer Strafrechtsklausur einem wütenden Exfreund aufgrund der Kränkung seiner Mannesehre keine niedrigen Beweggründe beim Mord an der Verflossenen zu unterstellen, diese sei verständlich, der arme Verlassene hätte daher keinen Mord, sondern lediglich einen Totschlag begangen. Den Korrektor um Beifall anheischend wird die Lösung nach Ablauf der angesetzten zwei Stunden mit reizendem Lächeln überreicht, für immerhin ein vollbefriedigend hat es in diesem Fall gereicht. Es wird ihnen nichts nützen, wenn der heimische Herd eines Tages langsam abkühlt.

read more:
+ Gerd Geilen - Kritische Betrachtungen zu § 213 in: Festschrift für Eduard Dreher, S. 357 ff.
+ Feministisches Studienbuch - Gewalt und Freiheit, S. 169

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