Meinen Studiengang und mich verbindet zuweilen eine Art Hassliebe, Extreme zwischen der Empfindung als notwendiges Übel und Begeisterung für Inhalte von geballter politischer Brisanz. Die Strafrechtsklausur, die meine Aufmerksamkeit in den letzten Tagen und Wochen an Lehrbücher, Skripten, Urteile und Aufsätze gefesselt hat, liegt seit gestern, 18:17 Uhr hinter mir. Noch am gleichen Abend finde ich mich erneut am Schreibtisch wieder, die Augen auf dieselben Kommentare und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geheftet, nur die Lesart ist seitdem eine andere. In den Lernprozessen der vergangenen Wochen auf schematische Darstellungen und ein möglichst optimales Kurzzeitwissen bedacht, die modrigen Delikatessen zwischen den Zeilen nur abwesend gestreift, bringen mich ebendiese nun zurück an den Rand des Papierbergs zwischen Leselampe und Laptop.
Aufsehen erregen. Über beinahe ein Jahrhundert wurde wütenden Ehemännern, die ihre Frau auf frischer Tat beim Fremdgehen ertappt umgehend töteten, von höchster Stelle und ohne mit der Wimper zu zucken die Strafmilderung eines "minder schweren Falls des Totschlags" gemäß § 213 Strafgesetzbuch zugestanden, während Frauen in derselben Situation mit vermindertem Strafmaß keineswegs rechnen konnten.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass das deutsche Rechtssystem nach wie vor von Männern dominiert wird. An manchen Stellen nimmt die hierdurch entstandene Privilegierung des eigenen Geschlechts jedoch besonders skurrile Züge an. Rechtsprechung und Literatur nehmen in den Fällen des § 213 einen Ehebruch als Provokation des getöteten Opfers an, wodurch dem betroffenen Täter bei einer Tötung im Affekt sein gerechter Zorn als strafmildernd angerechnet wird. Dass dies in den meisten Fällen für Ehemänner (selbst wenn die Trennung bereits vollzogen war und die Scheidung bevorstand), jedoch keineswegs für Frauen gilt, zeigen einschlägige Urteile des BGH bis weit in die 70er Jahre. Auch heute herrscht in der Rechtslehre weitgehend Einigkeit darüber, einen Ehebruch weiter als Provokation des Opfers im Sinne von § 213 zu betrachten - die Einigkeit darüber, lediglich Frauen in einer solchen Situation als agent provocateur zu betrachten, schwingt im Subtext mit.
Dabei werden Frauen in der Rechtsprechung über Tötungsdelikte in Bezug auf das Strafmaß nicht durchweg benachteiligt. Viel weiter verbreitet ist die Situation, dass Frauen als abhängig und maßgeblich geprägt durch die psychische Gebundenheit an ihr soziales Umfeld betrachtet werden, während Männer als grundsätzlich autonome Handlungssubjekte gelten - hieraus folgt ein höheres Maß der Vorwerfbarkeit bei männlichen Tätern. Die dahingehende Korrektur dieser Schieflage, dass sowohl Frauen zu autonomen und damit höher zu bestrafenden Handlungen durchaus in der Lage sind und umgekehrt auch die psychischen Grenzen der Verantwortlichkeit von Männern anerkannt werden müssen, lässt weiter auf sich warten.
Bis dahin kann ich mich nur wundern über die Kätzchen in der ersten Reihe, die, von Papa zum Studienbeginn mit dem sozialadäquaten Burberry-Schal ausstaffiert, in der Vorlesung belustigt kichern, als die geschlechterspezifische Problematik von § 213 StGB angeschnitten wird. Der Hinweis, dass das Thema keineswegs mit dem Ende der Siebziger Jahre ebenso begraben wäre, lässt sie nur lauter kichern, sie haben es sich doch da vorne bereits hübsch zurechtgemacht. Die front row kitten von heute scheinen ebenso bereit, bei der Lösung einer Strafrechtsklausur einem wütenden Exfreund aufgrund der Kränkung seiner Mannesehre keine niedrigen Beweggründe beim Mord an der Verflossenen zu unterstellen, diese sei verständlich, der arme Verlassene hätte daher keinen Mord, sondern lediglich einen Totschlag begangen. Den Korrektor um Beifall anheischend wird die Lösung nach Ablauf der angesetzten zwei Stunden mit reizendem Lächeln überreicht, für immerhin ein vollbefriedigend hat es in diesem Fall gereicht. Es wird ihnen nichts nützen, wenn der heimische Herd eines Tages langsam abkühlt.
read more:
+ Gerd Geilen - Kritische Betrachtungen zu § 213 in: Festschrift für Eduard Dreher, S. 357 ff.
+ Feministisches Studienbuch - Gewalt und Freiheit, S. 169
Donnerstag, 5. November 2009
6 Kommentare:
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Interessanter Artikel und tolle Buchtipps - Danke ;-)!
AntwortenLöschenTja, die Perlhühner... einer der Gründe warum unser "Berufsstand" zurecht einen eher zweifelhaften Ruf genießt. Vielleicht noch der Hinweis, dass, soweit ich weiss, Frauen bei Tötung des Ehepartners öfter wegen Mordes verurteilt wurden als Männer. Während letztere zu direkter körperlicher Gewalt neigen, haben Frauen ihre Männer eher vergiftet oder im Schlaf getötet - und damit heimtückisch gehandelt.
AntwortenLöschenSensibilität für gesellschaftliche Probleme entwickelt meiner Erfahrung nach nur eine Minderheit der Juristen - leider.
Zum Hinweis von Ben: Es gab diesbezüglich mal einen recht interessanten Beitrag im D-Radio: "Männer töten. Frauen morden. Über den großen Unterschied vor Gericht". Das Sendemanuskript gibt es als PDF unter folgendem Link:
AntwortenLöschenhttp://www.dradio.de/download/62956/
Sehr interessanter Artikel. Habe als Nicht-Jurist noch nie darüber nachgedacht, bzw. noch nie davon erfahren, dass es diese unterschiedliche Behandlung gibt.
AntwortenLöschenWas ich bei diesem Thema schon als sehr ungerecht empfinde, da die jeweils betrogenen Partner sich in der gleichen Ausgangssituation befinden. Warum eine Frau dann keinen "gerechten Zorn" empfinden kann/darf, ist mir schleierhaft.
@ Rogue
AntwortenLöschenVielen Dank für den Link - ein sehr interessanter Bericht.
@ diesmileykiste
Warum Frauen keinen gerechten Zorn empfinden dürfen? Ist doch ganz klar: Männer sind per se Betrüger und brauchen immer mehrere Frauen. Das wissen Frauen, also dürfen sie sich am Ende nicht wundern. Frauen dagegen sind treue, hingebungsvolle Wesen, von denen ein Betrug nicht zu erwarten ist. Kein Wunder also, dass Männer gegebenenfalls zornig werden.
(/sarkasmus)
Der Artikel beweist mal wieder sehr gut, was für Arschlöcher Männer in Wirklichkeit sind!
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