Montag, 9. November 2009

protestpoesie

in unserer Uni duftet es nach Kaffee und und frischgebackenen Waffeln. Vor dem Hörsaal 14 stehen Sofas und Cafétische, ein Infostand mit Flyern und vergleichbaren Druckerzeugnissen dient als Einfallstor zu neuer Selbstbestimmtheit, der Hörsaal ist besetzt. Ob unsere Uni nun wie die besetzten Universitäten in Österreich und Teilen Deutschlands auch brennt(<- Aktuelles bei jetzt.de), wollte ich heute in Erfahrung bringen.

Auf den Polstermöbeln liegen leere Gitarrenhüllen, meistens sitzt jemand daneben und spielt, zwischen anderen, die diskutieren oder sich zurücklehnen und ihren neugeschaffenen Freiraum betrachten. Im Hörsaal treffe ich Paddy, der sich bereiterklärt, mir ein paar Fragen zu beantworten.

Paddy ist kein Student und engagiert sich trotzdem, weil Bildung ein Thema für alle ist, wie er findet, seine kleine Tochter hat er dabei stets im Blick. Er fühlt sich wohl zwischen den StudentInnen, es gehe hier schließlich nicht um soziale Zugehörigkeit, sondern um das gemeinsame Ziel.


Aus welcher Situation ist die Besetzung in Heidelberg entstanden?
Am vergangenen Montag bei der Vollversammlung des Bildungsstreiks gab es eine Live-Schaltung mit dem besetzten Audimax in Wien, die Stimmung dort ist zu uns rübergeschwappt, sodass wir uns spontan dazu entschlossen haben, auch in Heidelberg einen Hörsaal zu besetzen, zunächst einmal aus Solidarität mit den Besetzungen in Österreich. Dann aber hatten wir nun diesen perfekten Zeitpunkt, um auch hier an den Bildungsstreik letzten Sommer anzuknüpfen und dachten, dass wir uns die Chance nicht entgehen lassen können, das, was aus der Situation am Montag nun entstanden ist, zu nutzen, um jetzt am Thema dranzubleiben, unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen und weiter an der Sache zu arbeiten. Mittlerweile haben wir uns hier einen Freiraum geschaffen, jeder kann dazukommen, wir erklären und informieren in unserem Infocafé, das werden wir nicht freiwillig aufgeben.

Wie ist euer Kontakt zu Rektorat und Polizei?
Im Moment sind wir hier vom Rektorat geduldet, es wurde noch nicht mit Räumung oder ähnlichem gedroht. Klar, der Rektor kann diesen Zustand jederzeit aufheben, aber wir arbeiten auch selbst daran, die Situation weitestgehen zu entschärfen. Beispielsweise kümmern wir uns um die Raumverteilung, da wegen der Besetzung keine Veranstaltung ausfallen soll, schließlich wollen wir nicht zu verschlechterten Lehrbedingungen beitragen. Leider befinden wir uns zur Zeit auch nicht in konkreten Verhandlungen mit dem Rektorat, dahingehende Kontaktversuche von uns wurden bisher abgebrochen oder übergangen.

Unserer Generation wird oft mangelnder Idealismus vorgeworfen. Wie pragmatisch ist euer Protest?
Das stimmt, Pragmatismus ist in dieser Generation weit verbreitet. Das Problem ist jedoch zyklisch, jetzt müssen auch wir uns klarmachen, dass es ok ist, sich für seine Ziele einzusetzen. Und ich bin sicher, dass die Bereitschaft dazu wieder zunimmt. In Bezug auf unsere Ziele gibt es auch hier Pragmatiker und Idealisten. Der Protest wird maßgeblich von Studierenden getragen, da liegt es auf der Hand, das man erstmal mit universitätsinternen Forderungen startet, wie zum Beispiel die Einführung einer verfassten Studierendenschaft für mehr studentische Mitbestimmung. Allerdings wollen wir unsere Ziele auch der gesamten Bevölkerung nahelegen, es geht schließlich um freie Bildung, das ist ein Thema für jeden, generationsübergreifend. Wir wollen, dass sich die Leute fragen: was ist das eigentlich, freie Bildung?

Der Ruprecht, eine Heidelberger Studierendenzeitung, hat der Besetzung des Rektorats vergangenen Sommer unterstellt, dass der Rektor in derselben Situation 1968 womöglich Kaffee und Kuchen vorbeigebracht hätte.
Unser Protest ist definitiv ein anderer als 1968, wo die Gefahr jederzeit greifbar war, dass Leute zu radikalen Hardlinern werden. Wir gehen das Ganze etwas ruhiger an, sind offen für Neues und bieten dem Einzelnen mehr Freiraum. Im Gegensatz zu damals wollen wir unsere Ziele friedlich, mit Witz und Charme vermitteln und verzichten auf Militanz.

Wie schätzt du die Resonanz auf den Protest unter den Studierenden ein?

Wirklich schwer zu sagen. Ich kriege mit, das oft ein großes Interesse da ist, wir unterhalten uns viel mit den Leuten, die vorbeikommen. Um mitzumachen haben manche vielleicht zuviel Angst vor gesellschaftlichen Konsequenzen, oft spürt man auch einfach Resignation.

Womit wir wieder beim Pragmatismus wären.

Ja, stimmt. Dabei sind wir offen für alle, die Lust haben, sich zu engagieren. Es geht hier nicht darum, wie man jemanden findet, persönliche Sympathien sind zweitrangig. Wir setzen uns hier in einem offenen Diskurs gemeinsam für unsere Ideale ein, das ist das einzig Wichtige.

*

Als ich gehe spielt jemand anders auf dem Sofa Gitarre, weitere spülen Geschirr oder kochen. Einen Freiraum haben sie tatsächlich geschaffen, die Frage ist nur, ob die Besetzung unter dem Banner des Mottos #unibrennt tatsächlich zum Flächenbrand gereicht, wie Paddy findet. Das Ringen um Konsens in den Plenarsitzungen der BesetzerInnen ist hart, Diskussionsbedarf gibt es stets an allen Ecken und Enden. Während die Einen plenieren ist man anderswo noch lange in der Position, sich jeglichen Verhandlungen zu entziehen, womöglich hoffend, dass die angeregten Debatten mit der Zeit an Hitze verlieren. Die Sondierung der neuen Freiheit zeigt ein Lagerfeuer im Hörsaal 14, einen belebten Fleck am regengrauen Unimontag, mehr ein alternatives Café denn politischen Aktivismus. Bevor eine Generation zu Idealisten erzogen werden kann gibt es noch einiges zu tun, Unsicherheiten zu überwinden. Dabei stünde uns, könnten wir endlich aus dem Schatten unserer Eltern treten, der Protest ebenso gut zu Gesicht.

links:
+ bildungsstreik-hd.de
+ unsereuni.at

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