Dienstag, 28. Dezember 2010

Der Fetzen Liebe im Statusupdate

Die Liebe sei als Projekt angelegt, schreibt Malte Welding in der Weihnachtsnummer des Freitag. Ein Projekt auf Dauer, wahlweise die Vereinsamung als Single vor dem Bildschirm:

"Warum diese Vereinzelung? Als Hauptverdächtiger gilt das Phänomen Narzissmus im Verbund mit der Selbst­darstellungsmaschine Internet. Der Tanz um sich selbst mag nach Erotik aussehen, aber es bleibt beim Schein."

All das während Mark Zuckerberg die Welt verbindet und das Post-Privacy-Zeitalter proklamiert. Was aber, wenn Facebook gar nicht oder wenigstens nicht allein der Faktor ist, der uns mehr zu Statusupdates als zu direktem sozialem intercourse bewegt?

Es ist halb drei in einem Neuköllner Hinterhaus, dritter Stock, die Turntables sind geliehen, es gibt Sternburg Export aus der Badewanne. Der Typ links neben dem Kühlschrank ist sichtlich angetan von ihrem Plan, durch Thailand und Vietnam zu backpacken und überhaupt von dem ganzen Mädchen. Aber bevor er sie je küsste im Laufe der Freitagnacht ist sie ihm zu wild und die Geschichte zu aussichtslos, mit einem lauwarmen Rest Bier quetscht er sich kurze Zeit später durch den Flur Richtung Dancefloor. Sie bleibt in der Küche und beschäftigt sich noch ein paar Minuten halbherzig mit der Frage, wen der Anwesenden sie mit nach Hause nehmen könnte ohne sich zum romantischen Frühstück zu verpflichten. Am Ende entscheidet der Alkohol und das, was bei Dunkelheit noch vielversprechend aussah fühlt sich Stunden später an wie der Anblick der zerdrückten Kippen im Waschbecken. Das größte Wagnis bleibt betrunkenes Knutschen in der U-Bahn, etwas wie Liebe im Moment und ohne Fragen.

Wir haben die Freiheit, in WG-Wohnzimmern an der Alternativität unserer Erwerbsbiografien zu feilen, den Zwang zu unter- bis unbezahlten Praktika und die Grenzenlosigkeit möglicher Beziehungsmodelle. Wir lieben unsere Freiheit und tun dies zu Recht, niemand wünscht sich zurück in die zähe Selbstverständlichkeit einer Vernunftehe. Auch wenn, wie Sven Hillenkamp in Das Ende der Liebe schreibt, die Vernunftehe zum Resultat eines zu verzweifelten und zu simultanen Strebens nach gesicherten Lebensverhältnissen, Liebe und satisfaction avancieren könnte. Denn wir fürchten unsere Freiheit mindestens ebenso sehr. Wenn wir heiraten, dann verheiraten wir uns mit Projektideen, insofern auch mit der Idee von der gesicherten Langzeitbeziehung. Und wir fürchten uns nicht genug, um nicht trotzdem alles zu wollen- doch hinreißen lassen wir uns höchstens zu Sturm und Drang in Zeitlupe. Während die Verfügbarkeit von Informationen und die Chance, uns multidimensional selbst zu entfalten, das Tempo des Alltags beschleunigt, werden wir zaghaft im Umgang mit dem Irrationalen. Auch wenn wir uns wünschen, wild und heftig zu lieben: nicht Leistung, sondern Herzblut soll sich lohnen. Für alles andere die Unverbindlichkeit eines one-night-stands.

Die Welt steht uns offen, aber ein aufgeklapptes Notebook gereicht im Zweifelsfall zum Sicherheitsabstand. Sie ist immer direkt vor unserer Nase, die Welt, via Internet sehen wir ihr beim Zusammenwachsen zu und arbeiten währenddessen auf dem Sofa am perfekten Lebenslauf. Der Erwartungsdruck, den wir durch die Fülle der Möglichkeiten auf uns projiziert glauben, führt zu einem Pragmatismus, der Sven Hillenkamp an der Möglichkeit der Liebe zweifeln lässt. Doch sobald der Versuch, mit handwerklichen Methoden Beziehungsglück zu konstruieren der Erkenntnis des Chaos weicht, darf auch ein Kuss zwischen Tür und Angel unter dem Label Liebe existieren. Es ist die Reproduktion vorzeitlicher Lebensformen, die hierfür eine Bereitschaft zum Einfamilienhaus voraussetzt. Schließlich entsteht aus dem Chaos oft nicht nur eine Idee, sondern ein neues Ideal. Und vielleicht eine neue Definition von Liebe, die der Unstetigkeit gerecht wird.

+ soundtrack: Clara Luzia feat. Emma McGlynn // Faces

Sonntag, 26. Dezember 2010

Boy, it's just a TV Show

Es muss beklemmend sein, schweißgebadet aus einem Traum aufzuwachen, in dem man auf dem Boden liegend zu einem elfenhaften Wesen mit himbeerroten Lippen aufblickt. Erst recht, wenn dieses Wesen einen an der Krawatte zieht und einen High Heel in die schwache Brust rammt. Und schlimmer noch, wenn die bösen Anzeichen aus dem Traum über den Frühstückstisch kriechen, wenn die Tageszeitung in Form einer Studie den nächsten vermeintlichen Beweis für das Aufziehen einer neuen Mädchenelite vermeldet. Vor diesem Szenario scheinen geschlechterpolitische Fragen aus einer dem Feminismus entgegengesetzten Richtung an Relevanz zu gewinnen. Maskulismus wird zur verführerischen Fluchtperspektive vor der überhand nehmenden Weiblichkeit.

Der Maskulismus, per definitionem eine politische Betrachtung des Geschlechterverhältnisses mit dem Ziel der Beseitigung von männlicher Diskriminierung, ist in den 80er Jahren als Antonym zur Frauenbewegung entstanden. Die zugrunde liegende These geht also in erster Linie dahin, dass Männer von Frauen unterdrückt werden. Was nach verkehrter Welt aussieht, meinen die Protagonisten bitterernst. Dabei treten sie vorzugsweise unter dem Deckmantel der digitalen Anonymität in Internetforen auf, in denen sie sich in ihrer Wut auf starke Frauen gegenseitig bestätigen. Wahlweise kommentieren sie auf feministischen Blogs, deren Autorinnen sie – die Killerphrase - Frigidität unterstellen.

Wenn die Debatte nicht schon derart von Vorurteilen aufgeladen und von argumentativer Niveaulosigkeit geprägt wäre, würde man sie gern bei der Hand nehmen und ein paar Dinge klarstellen. Der Mangel an Verständnis der Situation, aus dem sich Maskulismus nährt, setzt dort ein, wo eine Frau mit rotem Kussmund und High Heels als Bedrohung empfunden wird. Sie ist, wie vieles andere, eine mediale Inszenierung, die von Werbeagenturen ins Leben gerufen wurde, um Produkte abzusetzen. Und dies nicht etwa mithilfe eines qualifizierten Statements zu Rollenbildern, sondern durch die Darstellung einer Frau als Objekt. Und der Mangel an Verständnis gipfelt in einer Auffassung von Feminismus, nach der das kaltherzige Weib nichts anderes im Sinn hat, als grausam die Herrschaft über das männliche Geschlecht an sich zu reißen. Klingt nach neunzehntem Jahrhundert.

Liebe Maskulisten, würde man gerne sagen, habt keine Angst! - Wenn man als Frau nicht selbst in einer Position stecken würde, die keine generösen Gesten erlaubt. Während konservative Medien den Strom von Meldungen nicht abreißen lassen, in denen von benachteiligten Schuljungen und Abiturientinnenquoten die Rede ist, treten die tatsächlichen Aufstiegshindernisse von Frauen in den Hintergrund. Untermalt wird die Geschichte von den benachteiligten Jungs durch das spezifische Förderungsprogramm von Schwarz-Gelb unter Federführung von Kristina Schröder. Dabei ist es noch nicht an der Zeit, dass Frauenförderung von Männerförderung abgelöst werden könnte. Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht, wenn ein paar Prozent mehr Mädchen für hochschulreif befunden werden und später diejenigen bleiben, die maßgeblich Verantwortung für Küche und Kinder tragen. Und es geht genau darum: um Gleichberechtigung. Denn welche intelligente Frau träumt allen Ernstes davon, einen Mann vor sich im Staub liegen zu sehen? Wahre Größe von Männern wird auch aus weiblicher Sicht eher dort zu verorten sein, wo Frauen als stark, aber nicht als stärker oder schwächer wahrgenommen und akzeptiert werden. Augenhöhe eben – nicht mehr, aber auch kein Finger breit weniger.

Zuerst erschienen in der Freitag 51-52/10: Die Weihnachtsnummer.

[Bild: Mariah Jelena via photodonuts.com]

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