
manchmal ist der Griff in den Kleiderschrank ein Griff ins Klo. Und meistens grinst mir dabei in Reichweite des Spiegels eine
morgenblasse Fratze entgegen, die den Weg vom Bad zum Kleiderschrank angenervt erneut zurücklegt, weitere Fehlschläge später möglichst die perfekte Klamotte finden, erstes Tagesziel. Ich hätte es eben gern nett, so an mir dran.
Traurig und bedrückend ist das Szenario dabei erst, wenn die Fratze im Spiegel nicht mehr grinst, sich stattdessen selbst zerfrisst über
Schönheitsmakel, die man nur selbst sehen kann, dafür aber umso heftiger. Ohne Vorwarnung bohrt sich im Angesicht des Ich die äußerliche Unzulänglichkeit ins Auge, von dort immer tiefer nach innen.
Scheinbar verachten größtenteils Frauen die eigenen
Ecken und Kanten, das behaupte ich schon allein angesichts der monatlich neu erfundenen Diäten sämtlicher seichter Magazine für die
Durchschnittsfrau. Die Konkurrenz ist groß mag man denken, zum Casting von Heidi's next Topmodel kamen sie schließlich zu Tausenden, die hageren Großaugen mit vollem Busen, und sie lauern auf jedem
Hochglanzcover. Die Selbstwahrnehmung droht, im bunten Bilderzirkus unterzugehen, der Maßstab sollte doch eigentlich niemand sein - außer
mir.
Ein Vergleich aus meiner Lebenssphäre: Ich bin Jurastudentin, das bringt auch den ein oder anderen Kommilitonen mit sich, dem man den ausgedehnten Aufenthalt vor dem
Badezimmerspiegel auf einige Entfernung ansieht - jedoch mit einem völlig anderen Ergebnis als leider oft beim weiblichen Pendant: in der Regel findet sich der betreffende Herr ziemlich geil - und wird dafür respektiert. Man könnte ihn Lackaffen nennen, die Portion zuviel Haargel oder das in Verbindung mit Jurastudenten oft erwähnte Pferdchen auf der Brust belächeln, aber allgemein wird er wohl selbstbewusst geheißen werden, vielleicht auch zielstrebig oder sogar kultiviert; an
missgünstigen Adjektiven wird jedenfalls gespart.
Die weibliche Variante ohne Polopferd, ich, bin hingegen gewohnt, ab und an
arrogant gefunden zu werden, denn: außer nach einer durchzechten Nacht mit beißendem Kater im Anschluss kann ich die Fratze im Spiegel ganz gut leiden. Warum eigentlich nicht, darf ich das nicht dürfen?
Mindestens so oft wie mir der bis zur völligen
Keimfreiheit gepflegte Typ begegnet sehe ich wunderschöne Mädchen, die durch selbstzerfressende Kritik ein in sich gefangenes
Mauerblümchendasein fristet. Das kann man sehen, viel zu oft, in den trüben gesenkten Blicken, die sich in scheinbar unbeobachteten Momenten in die
Augäpfel schleichen.
Männer hingegen gehen mit sich selbst und ihrem Umfeld deutlich gnädiger um. Zwar wirft auch Mann den ein oder anderen kritischen Blick in den Spiegel und nicht jeder auf sein Äußeres Bedachte ist deswegen affektiert, selbst die männliche Pferdchenvariante begegnet mir, selten zwar, aber doch ab und zu in sympathisch. Worum es mir aber geht ist der Vergleich zwischen der männlichen und weiblichen Version eines
selbstsicheren Menschen.
Es handelt sich hierbei um keine wirklich neue Erkenntnis - Frauen sind selbst die größten
Kritiker ihres weiblichen Umfelds, sei es in Bezug auf den beruflichen, privaten oder sonstwie gearteten Erfolg ihrer Geschlechtsgenossinnen oder eben auf deren Körper und
Oberbekleidung. Ich gebe zu, auch mir fällt auf, wer in meinem kleinen universitären Kosmos welchen neuen Pickel zur Schau trägt, dabei passiert mir das jedoch geschlechtsunspezifisch, der alltägliche Klatsch und Tratsch bei Kaffee und Kippe vor der Uni. Die Thematik sitzt dabei
unbekümmert auf meiner leichten Schulter, jeder redet sowieso über jeden, alle wollen alles wissen und am besten besser, so what, nächstes Thema. Und doch kann ich meine Easygoingeinstellung nicht voraussetzen, womöglich sollte ich konsequenterweise ab und an mein
Schandmaul halten, obwohl ich wünschte, dass jede Frau sich selbst im Spiegel sehen könnte, ohne ungezählte weibliche Vergleichsobjekte daneben aufzuhängen.
Ich habe selbst ausreichend Erfahrung mit der bissigen Kritik anderer Frauen - ich bin ziemlich schlank und nebenbei auch noch selbstbewusst und meistens zielstrebig. Das lässt sich wohl auch objektiv ganz gut hören, dennoch weiß ich zu gut, dass manche Frau spielend bei jeder anderen das vermeintliche Haar aus der
Suppe angelt. Wer mir mit 16 erzählte, dass ich magersüchtig sein müsse oder wenig später, dass ich doch recht überheblich rüberkäme, das waren ausschließlich die
femininen Betrachter meines jungen Selbst. Man könnte nun darüber nachdenken, ob es sich hier um Konkurrenzdenken, Neid oder andere ausgelutschte Substantive handelt; ich gehe zunächst von den Fakten meines
Alltagshorizonts aus.
Bei
Les Mads ist mir vor kurzem zum ersten Mal einer der "
getagged: Komische Blicke fürs Styling"-Beiträge aufgefallen, die sich innerhalb einiger Tage quer durch die Modeblogosphäre zogen. Die Frage "Fällst du gerne auf?" wollte keine der Beitragenden mit einem glatten
ja beantworten, der Tenor war vielmehr, dass man es wohl ertragen könne, wenn jemand guckt. Warum nicht auffallen? Aus Angst, allzu seltsame Blicke - vornehmlich seitens der weiblichen Konkurrenz - auf sich zu ziehen? Warum sollte man sich davor scheuen herauszustechen, wenn man sich doch selbst mag und schön findet, so wie man der Welt begegnet? Klamotten als Teil des gesamten äußeren Erscheinungsbilds sind seit jeher Geschmackssache gewesen und ich sehe kein Problem, den eigenen
Stil frei an sich selbst auszustellen. Jeder will ein möglichst großes Stück vom Individualitätskuchen mit
Selbstverwirklichungssahnehäubchen, und dass wir was
Besonderes sind hat Mama uns auch schon erzählt. Dabei sollten wir, denke ich, gelernt haben, dass wir allen Grund dazu haben, aus dem augenscheinlichen
Raster zu fallen.
Ich kenne zu viele junge Frauen, denen der Blick in den Spiegel zu oft an der Seele
nagt. Und ich möchte ihnen manchmal in die zerbrechlichen Gesichter schreien, dass ihre
Weiblichkeit eine Macht ist, dass sie schön sind und das bitteschön wissen sollen. Dann wieder will ich ihnen zureden, die abgefallenen Blütenbläter aus dem
Matsch sammeln oder ihnen eine Flasche Sekt in die Hand drücken und auf uns trinken, denn: wir haben alle allen Grund dazu.
Bild: vskrems-lerchenfeld.ac.at