Donnerstag, 7. Januar 2010

weil es mich süchtig macht

Vielleicht war Twitter die Einstiegsdroge. Während mein Blog in seinen ersten Zügen langsam Konturen annahm tippte ich mich durch die Online-Registrierung, Einspeisung einer Biographie in 140 Zeichen. Spätestens an diesem Punkt wird klar, wie viel zu gut die Kürze funktioniert; dazu kommen ein Twitterfeed auf dem Blog sowie die stetige Befüllung meiner Timeline mit interessanten Menschen und dem latest crush der Nachrichtenwelt, personal entertainment neben Information und Selbstdarstellung. Erst das Mikroblogformat, mit jedem Tweet wachsender Ausdruck einer Netzpersönlichkeit, das mich an sich gekettet hält, macht die Stadtpiratin und mich unzertrennlich.

Mit einem kleinen Lächeln denke ich manchmal an meine Zugfahrt Hannover-Heidelberg im letzten Juni, der Weg nach Hause von den Jugendmedientagen 2009. Ein Bekannter hatte mir damals die Anmeldung ans Herz gelegt, könnte ganz interessant für mich werden, meinte er. Im dreitägigen Programm vor Ort fand ich mich umringt von Massen angehender AbiturientInnen, deren Zukunftspläne in Erzählcafés, Workshops und beim Mittagessen eingehend erörtert wurden, von den Referierenden "die Mutigen" genannt, ambitioniert in Richtung eines Publizistik-, Medienwissenschaften-, Journalismusstudiengangs und später, selbstverständlich, der Traum von einer Festanstellung "im Printbereich". Euphorische Naivität und verlorene Posten für mein bereits im Werden befindliches Jurastudium, mein kleines feines Blog und die Abstinenz eines Plans zur Eroberung von Gazetten mit dem eigenen gedruckten Namen.

Während viele verzweifelt ihre Fingernägel in das zerfallende Fleisch einer Illusion graben, ihren Namen würde journalistischer Wert nur beigemessen, sofern sie ihn auf Papier anfassen könnten, hauche ich mit Texten meinem Blog in unregelmäßigen Abständen neues Leben ein, hege und pflege und gieße ihn, suche nach Worten für große und kleine Geschehnisse, die ein paar Absätze verdienen. Mein Blog ist kein Karriereinstrument, ein solches müsste ich nach anderen Spielregeln bedienen, die meine Beziehung zum Internet als liebstem Spielplatz der Informationsfreiheit das Krönchen entreißen würden - dessen Möglichkeiten all diejenigen nicht verstehen, die noch nie über Vierwände hinaus vom Gartenzaun gezwitschert haben.

In der Denke selbsterklärter alter Hasen und der durchschnittlichen social-web-Hopper ist oftmals zu wenig Platz für ein Verständnis der Blogosphäre, für Leute, die wie ich unabhängige Inhalte produzieren, Blogs mit Politiken, Kultur und Lebenshäppchen füllen - Inspirationen ohne Budget, das Honorar liegt allein in guten Ergebnissen und vielleicht ein paar Klicks. Dass es bei dieser Währung für den Netzinput nicht bleiben wird, zeigen nicht die zögerlichen Paid-Content-Versuche mancher Online-Ausgabe, umso mehr die fortschreitende Vernetzung einer Gesellschaft und die Überzeugungskraft der am schnellsten verfügbaren Nachricht. Auch ohne der gedruckten Tageszeitung den Tod zu wünschen oder ihre Zukunft in den dunkelsten Farben zu zeichnen werden sich manche realitätsferne JungjournalistInnen in wenigen Jahren nach einem gutplatzierten Online-Namen genüsslich die Finger ablecken und vielleicht bis dahin das Netz zu lieben lernen. Bis dahin wird mein kleines Pflänzchen weiter wachsen, werde ich an ihm wachsen und neue Pfade beschreiten, um mit Texten eines Tages möglicherweise Kinderzimmer einzurichten.

read more: "Heuchelei und Hilfe - Sarkozys Subventionen spalten Frankreichs Online-Medien" // Süddeutsche

3 Kommentare:

  1. Ist wohl eine Kombination von Schreibtalent, Selbstvermarktung und Ausbildung, die für den Journalismus in Zukunft wichtig sein werden. Ich seh' bloss für all die Journalismusstudiengänge schwarz. Man braucht spezialisiertes Wissen über Politik oder Wirtschaft, um bei einer Zeitung unterzukommen, die was taugt. Zumindest hier in der Schweiz. Sonst landest du bei einer Gratiszeitung ;) (ok, ihr in D kennt das glaub ich gar nicht so mit den Gratiszeitungen)

    Mit deinem Blog schaffst du dir jedenfalls schonmal eine gute Basis in Sachen Selbstvermarktung und so. Gefällt mir gut ^

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  2. Die Vorurteile gegenüber Journalistik-Studiengängen sind immer noch riesig. Ich selbst studiere Journalistik in Dortmund und kann nur sagen, dass die Vorurteile total überzogen sind. Wir lernen Medienrecht, Ethik u.a. Und ein Nebenfach haben wir auch. Die Aussage, dass man ein Fach GANZ studiert haben muss (im Sinne von "nur" BWL oder "nur" Jura) finde ich für veraltet. Ein guter Journalist ist auch im Stande, seine eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen und eithische Aspekte zu berücksichtigen.

    Und schwarz sollte man für die Studiengänge nicht sehen - immerhin exisiert der Studiengang in Dortmund seit 40 Jahren. Die meisten der Absolventen haben eine gute Anstellung und werden mit Kusshand genommen.
    Ach ja: Und Kompetenz bringen sie auch mit.

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  3. die frage ist doch auch, wie sich der journalismus weiterentwickelt. die großen printmedien, die kleinen independent-magazine, die blogs, die internet auftritte der printmedien, die kosten?
    dem anspruch schneller und vielfältiger zu sein kann das netz besser erfüllen als der print.
    ich strebe auch was im journalismus an, was allerdings mit dem journalismus passiert bis ich ankomme... keine ahnung.
    ich glaube auf eine gewisse profilierung via blog zu setzten ist nicht falsch, va weil sich journalismus mehr in den online und den individualisierten bereich verlagert. und du fährst da mit deinem blog mit sicherheit gut. ich lese ihn jedenfalls gerne.

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