thoughts on Brigitte's turning away from professional models
Die Durchschnittsleserin der Brigitte ist 48 Jahre alt und 23% schwerer als die abgelichteten Models, die Auflage sinkt, die Chefredaktion um Andreas Lebert tüftelt, wie man die Verkäufe ankurbeln kann und kommt auf eine geniale, wenn auch nicht unbedingt neue Idee: den Verzicht auf professionelle sogenannte Magermodels zugunsten von "echten Frauen".
Es bleibt zunächst festzustellen: der anhaltende Trend zu knochigen Frauen auf dem Laufsteg ist ein Problem, sowohl in der Modelbranche (wie etwa das Beispiel des jetzigen Plus-Size-Models Crystal Renn erschreckend anschaulich zeigt) als auch für heranwachsende Mädchen, denen ein bizarres Schönheitsideal präsentiert wird und früh zu Identifikationsproblemen führt, die schlimmstenfalls ihr Ende in einer handfesten Anorexie finden.
Für einen gesunden Umgang mit dem eigenen Körper, für mehr weibliche Selbstzufriedenheit und zur Bekämpfung eines einseitig verzerrten weiblichen Schönheitsideals ist die Entscheidung der Brigitte, von nun an auf magere Mädchen zu verzichten grundlegend und wichtig; erst bei der Umsetzung wird dieses hehre Projekt jedoch wirklich interessant. Jeanie Chung etwa fragt sich bei salon.com, wie die Brigitte "normale Frauen" abbilden will und wer das überhaupt sein soll. Andreas Lebert denkt dabei beispielsweise an Angela Merkel, Steffi Graf und Ursula von der Leyen - weiße, erfolgreiche Frauen mittleren Alters also. Das auch solche Vorschläge nicht dazu geeignet sind, weiblichem Facettenreichtum ein Forum zu bieten liegt ebenso auf der Hand wie sich die Vermutung erhärtet, dass man in Hamburg nicht die Frauenwelt verbessern, sondern in erster Linie die Verkaufszahlen ankurbeln will. Denn Frauen wie Merkel und von der Leyen sind eher in der Lage, für den betagten Teil der Leserinnen eine Art Ideal zu verkörpern - dabei wollte man doch eben keine Idealvorstellung bieten, sondern Frauen wie du und ich? Vielfältige Schönheit, Charakter, Individualität? Die beiden Politikerinnen entsprechen zwar keinem gängigen Schönheitsbild, haben dafür aber ein Maximum an Macht und Karriere vorzuweisen - und Steffi Graf einen durchtrainierten Sportlerinnenkörper und nebenbei eine Model-Vergangenheit. Man dreht sich im Kreis in der Redaktion.
Was vor allem aus marktpolitischen Erwägungen für die Brigitte von Nutzen sein kann, gilt zudem noch lange nicht für die anderen. Pubertierenden Mädchen, vollauf mit der eigenen Entfaltung beschäftigt, wird es nicht helfen, wenn eine Zeitschrift, die im Altersdurchschnitt deutlich über der eigenen Zielgruppe liegt, Vielfalt ab vierzig präsentiert. Und die Süddeutsche titelt indessen "Es bleibt ein Knochenjob", denn: führende Modemagazine wie die Vogue Deutschland, Instyle und Cosmopolitan winken bereits dankend ab. Zurück bleibt ein weiteres tragisches Fazit der Anti-Magermodel-Kampagne: weder die zerbrechliche Welt eines nach Identifikation suchenden Teenagers noch die Welt der Models wird von der Brigitte berührt.
Dabei ist die Idee an sich wundervoll und das nicht erst seit gestern: Beispiele sind der Vorstoß von Alexandra Shulman, Chefredakterin der britischen Vogue, die führende Designer anklagte, die Magazine zur Wahl von Models mit hervorstehenden Knochen zu zwingen oder die Verbannung von zu dünnen Models bei der Fashionweek in Madrid 2006. Die Brigitte hofft nun offenbar, auf den fahrenden Zug aufspringen zu können und möglichst dabei einen Meilenstein zu setzen, der die Auflage in die Höhe treibt. Es ist zu befürchten, dass in diesem Zug noch nicht ausreichend namhafte Fahrgäste sitzen, die Fahrt unwirtschaftlich wird, weil keiner mehr einsteigen will - es braucht mehr als eine (wenn auch zumindest in Deutschland einflussreiche) Zeitschrift für Frauen mittleren Alters, um dem betrachtenden Auge individuelle Schönheit und Charakter zurückzugeben.
Die größte Hürde wird es jedoch sein, sich von zwanghaften Vorstellungen einer Norm zu lösen. Andreas Lebert will alle Kleidergrößen zeigen, alles sei erlaubt. Dabei ist der Kampfbegriff "Magermodels" ebenso hinderlich wie das zementierte Frauenbild der Modeindustrie. Ehe wir blinzeln hat sich es sich ein neues Vorurteil hübsch zurechtgemacht: die Dünnen sind schuld. Die wachsende gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Essstörungen aller Art ist angebracht und doch bigott: schleichend wird jede Kundin der Größe-34-Abteilung zum potentiellen Opfer einer Selbstwahrnehmungsstörung. Ziel sein muss, dass tatsächlich alles erlaubt ist: große Brüste, kleine Brüste, dünne und dicke Frauen mit oder ohne fulminante Rundungen, Falten, Alltag und das feine brilliante Detail in jeder Einzelnen von uns.
Hi Eva,
AntwortenLöschenein schöner Artikel :) ! Ich finde, dass dieser Umschwung noch einen anderen positiven Effekt hat: Es ist klar, dass die Models in den Medien in erster Linie den Mädchen als Vorzeigefrauen dienen - mit teilweise sehr negativen Begleiterscheinungen. Aber ich glaube, dass nun auch Jungs von diesem Wandel profitieren - bei ihnen entstehen ja durch die bisherigen Idealkörper im Fernsehen auch keine realistischen Erwartungshaltungen.
Liebe Eva-Ricarda!
AntwortenLöschenIch möchte Ihnen, werte Dame des wirklich exzellent recherchierten Journalismus ein großes Lob aussprechen!
Tiefe, Tiefe, Tiefe, ich bewundere dies!
Vorallem dieser Artikel gefällt mir sehr. Nicht nur die wandernden Knochen sind wirklich bedenklich auch die virtuelle Photoshop-Chirurgie!
Grüße!
oh, vielen lieben Dank Frl. von Rosenweiß, ich bin herzerfreut und fühle mich tief geehrt.
AntwortenLöschenallerbeste Grüße
eva.ricarda