Darf ich vorstellen: Peggy Parnass. Die eigenwilligste Grande Dame des Journalismus, mit der ich, nicht aus Versehen aber doch zufällig am vergangenen Wochenende zum ersten Mal tatsächlich in Berührung kam. Man hatte mir ein Buch mitgebracht von ihr, Prozesse, in neuester, nun alles enthaltender Ausgabe.
Der Name ist mir schon vorher begegnet, vor anderthalb Jahren, kurz vor dem Abitur, als ich mit meiner Studienwahl haderte. "Jura passt zu dir" haben damals einige gesagt, das sei auch nicht trocken, und wenn mir die klassischen Berufsbilder zu eintönig seien, "dann mach doch sowas wie Peggy Parnass, Gerichtsreporterin." Jaja habe ich gedacht, Gerichtsreporterin, klingt gut, vielleicht werde ich auch Chefredakteurin der Zeit - bei Jura bin ich letzten Endes geblieben.
Die Karriere meines oktroyierten Vorbilds hingegen findet den einzigen Überschneidungspunkt mit der Rechtswissenschaft im Gerichtssaal. Ihre Eltern, Vater Simon Pudl Parnass und Mutter Hertha Parnass fielen den Nazis im Vernichtungslager Treblinka zum Opfer, Peggy verbrachte den Großteil ihrer Kindheit in 12 verschiedenen Pflegefamilien in Schweden. Mit 14 begann sie sich selbst zu ernähren, schrieb Kolumnen, jobbte als Sprachlehrerin und übersetzte für die Kripo. Sie arbeitete als Schauspielerin in Film und Fernsehen und begann 1970, für die Zeitschrift konkret, Gerichtsreportagen zu verfassen.
Sie selbst erzählt in einem Interview der taz, dass sie sich vorher schon mit JournalistInnen in Verbindung gesetzt hatte, damit sie weniger gleichgültig über die NS-Prozesse schrieben. Später machte sie sich selbst zum radikalen Gegenentwurf. Sie konnte es beispielsweise nicht ertragen, dass Souhaila Andrawes, eine zum Tatzeitpunkt neunzehnjährige Palästinenserin, deren körperlicher und seelischer Zustand vor Gericht an Vernehmungsunfähigkeit grenzt, für ihre Beteiligung an der Landshut-Entführung zu 12 Jahren wegen Mordes einwandert, während man alte Nazis beinahe schon laufen ließ, weil sie kränkelten. Andrawes hat kein Menschenleben auf dem Gewissen (mehr zum Prozess hier in einem Bericht der Zeit).
Ihre Reportagen sind schonungslos und persönlich, unglaublich nah und sezierend. Das ist ihr oft vorgeworfen worden, mindestens so oft wie man sie dafür bewundert und ausgezeichnet hat. 2008 ist sie mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden. Sie fühlte sich nicht recht wohl dabei, hatte man doch auch schon manchen SS-Offizier mit ebendiesem Blechschild dekoriert. Freunde überzeugten sie schließlich, dass sich die Zeiten geändert hätten, nachdem sie 2007 bereits einmal abgelehnt hatte, nahm sie die Ehrung doch in Empfang.
Seit dem Wochenende ist sie für mich keine Unbekannte mehr, kein Name, von dem mir jemand vorschwärmt, Bekannte, die es gut gemeint haben mit mir. Ich lese in ihren Prozessen und lasse mir Kindsmörder vorstellen, Kleinkriminelle und große Fische, distanzlose Porträts die bewegen, oft schockieren. Nicht selten lässt mich allein Parnass' persönliche Beschreibung der Situation im Gerichtssaal nachdenken über Großes, Gerechtigkeit, Justiz und menschliche Abgründe.
Bild: amazon.de
Mittwoch, 14. Oktober 2009
2 Kommentare:
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Sorry kein Kommentar zum Post, sondern zum Blog. Bin gerade über Blica hier gelandet und habe mich sehr gefreut, ein Blog aus der alten Heimat zu finden, mit ein paar Bildern aus meinem früheren Umfeld. Die Blogroll ließ mein Herz höher schlagen, so viele Menschen darin, die inzwischen feste Bestandteile meines realen Lebens geworden sind, kaum mehr wegzudenken. Und das alles entstanden, aus der Idee, die vor etwas mehr als 3 1/2 Jahren in einer Wohnung in der Heidelberger Altstadt Gestalt annahm in Form meines (mittlerweile etwas vernachlässigten) Blogs, der soviel zu dem beigetragen hat zu dem was und wo ich heute bin. Bitte entschuldige die nächtliche Sentimentalität. Im Grunde möchte ich nur sagen, dass ich Dein Blog abonniert habe und nun brav mitlesen werde :)
AntwortenLöschenUnd wie ich die nächtliche Sentimentalität entschuldige! Vielen lieben Dank für deinen Kommentar - es freut mich natürlich, wenn ich zu positiven Erinnerungen aus alten Zeiten beitragen konnte und freue mich, dich als neue virtuelle Abonnentin zu haben. Das Semester hat seit einer Woche wieder begonnen, mein kleines feines Blog-Kind, das mir den dringend nötigen kreativen Schreib- und Verarbeitungs-Input verschafft, muss nun ab und an dank den anstehenden Klausuren etwas an seiner Aktualität leiden - aber da ich es liebe, wird es weiterhin (wenn auch nicht täglich) mit Textnahrung versorgt - maßgeblich aus meiner WG in HD-Neuenheim :)
AntwortenLöschenBeste Grüße
Eva