Dienstag, 16. Juni 2009

es ist streik in heidelberg, und keiner geht hin.

350 Leute müssen gestern morgen in der Vorlesung ein trauriges Bild abgegeben haben. Ich hörte gerade, wie jeden Montagmorgen, Öffentliches Recht bei Professor Kirchhof, als ein Dutzend krakeelende Studenten in gelben T-Shirts in den Hörsaal stürmten.
Es ist Bildungsstreik in Heidelberg, und das nicht ohne Grund. Schließlich krankt unser freies Bildungssystem, Studiengebühren verwehren jungen Talenten aus weniger wohlhabendem Hause die Teilhabe an vielen staatlichen Hochschulen in Deutschland und der wachsende Karrieredruck hindert die Studenten mehr und mehr daran, selbstbestimmt zu leben und sich zu bilden.
Trotzdem steht keiner von uns angehenden Juristen auf, als wir durchs Mikro und mit lautem Geschrei aufgefordert werden, vor der Uni für unsere Bildung zu kämpfen. Die Leute da unten im sonnengelben Streik-Outfit sehen nicht aus wie Revolutionäre sondern eher wie ein etwas verlorener Haufen während ich mich frage, wie wir wohl aussehen mögen. Irendwie geben wahrscheinlich beide Seiten ein lahmes Bild ab, unten am Pult die verwirrten Demonstranten vor einem Saal voll träger Juristen. Ich frage mich, wo ich lieber stände und wie ich auf einmal auf die Seite der sich duckenden Karrieristen gelangen konnte. Jetzt bloß nicht auffallen, aufstehen und mit den gelben T-Shirts den Saal verlassen ist nicht drin. Stehen wir uns jetzt hier gegenüber, Karrierekampf gegen Solidarität mit den streikenden Kommilitonen?
Ich stecke fest in meiner Bank und starre wechselnd den Prof, die Demonstranten und meine Mitstudierenden an.
Warum bin ich bisher nicht auf die Idee gekommen, ordentlich mitzumischen und mich zu engagieren?
Eigentlich will ich gerade gar nicht gehen, sondern finde die Vorlesung - heutiges Thema: Artikel 14 Grundgesetz, Eigentumsfreiheit - hochinteressant. Das ist keine Ausrede für meine Trägheit, denn gleichzeitig kotzt es mich an, inmitten dieser konservativen Ellenbogen-Karrieristen einfach nicht aufzufallen.
Ich finde neue Ideen wichtig und Ideale wie die der freien Bildung und Solidarität unterschreibe ich ohne zu zögern. Und doch stehe ich nicht vor der Uni und esse zusammen mit den Demonstranten Vollkornkekse, denn das ist mir alles irgendwie zu niedlich. Hier in Heidelberg wird gestreikt, aber es geht kaum jemand hin.
Kaum jemand geht hin, weil hier keine Inhalte vermittelt werden, es wird nicht gefordert sondern gegrillt, gegessen und gefeiert. Das zumindest ist das Bild, welches von der eben begonnenen Bildungsstreik-Woche bei vielen Kommilitonen zurückbleibt. Das sanfte Spektakel in Gelb wirkt ein bisschen gemütlich und naiv.
Eigentlich sollten wir alle unser Recht auf Bildung einfordern, und Studiengebühren gehören zugunsten einer gleichberechtigten Teilhabe an der Hochschulbildung ersatzlos gestrichen. Nur habe ich die Befürchtung, dass wir dabei mit Vollkornkeksen vor der Uni nicht weiterkommen. Mehr Inhalt muss her, mehr Kundgebungen, mehr Forderungen und mehr Dialog.
Seit Wochen werden von den wenigen Demonstranten fleißig gelbe Flyer verteilt - nur leider ohne Inhalt. "Bildungsstreik jetzt" oder "17. Juni Wiederstand - Bildungsstreik im ganzen Land", das wirkt ganz nett und ein bisschen leer.
Am morgigen 17. Juni werde ich auch mal zur Demo gehen und hoffen, dass sich dort etwas bewegt und Idealismus mit Inhalten verknüpft wird. Denn das Anliegen ist ernst und ohne greifbare Forderungen wird uns keiner hören im Kultusministerium.

1 Kommentar:

  1. Es scheint wie immer: die vernünftigen Studenten bleiben im Hörsaal, es demonstrieren die Radikalen gegen schlechte Studienbedingungen, Studiengebühren, Kapitalismus und die Gesellschaft ganz allgemein. Dazu laufen sie mit ein paar Transparenten und "Linksruck"-Plakaten mit illusorischen Ideen durch die Stadt und bekommen ein wenig Medienecho wegen des "Studentenstreiks". Und am Ende kommt raus: nichts.
    Wie wärs, wenn Ihr versucht, mit den Profs gemeinsame Aktionen zu veranstalten? Immerhin ist die Uni ja doch recht zentral gelegen.

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