Mittwoch, 22. Juli 2009

die ich-generation

ich liebe meinen blog. und ich liebe es, andere blogs zu lesen, mich zu informieren und inspirieren zu lassen, kleine virtuelle Kostbarkeiten sammeln für meine Schreibe, meine Denke oder meinen Kleiderschrank. Und obwohl die geschriebenen und fotografierten Lieblingsstücke in enormer Fülle im web gefunden werden können, brauche ich sie trotzdem: die Zeitschrift. Die, die man mit Kaffee und Schokolade beflecken kann und am Ende des Monats als einen vom Badewasser gewellten Papierbrocken auf irgendeinem Stapel deponiert. Hinzukommt: ich habe da gewisse Ansprüche. Intelligent soll sie sein und markant geschrieben, wenn möglich Themen aus Politik und Gesellschaft, Kultur, Musik und Mode enthalten. Ich war nicht so recht zufrieden, als ich mich vor ein paar Monaten dazu entschloss, die Neon zu beziehen.
Nun landet das bunte Heftchen also Monat für Monat im Briefkasten und in diesen Abständen wüte ich vor mich hin, mehr als dass ich mich beim wochenendlichen Zeitschrift-und-Couchkaffee entspannt zurücklehnen würde. Fakt ist schonmal: Das Abo kommt weg.
Bei mir lief das ab wie bei vielen jungen Frauen meines Alters: zuerst kam die Bravo, dann wollte ich außer den ersten sexuellen Erlebnissen auch noch was dahinter, kaufte mir die Brigitte Young Miss, bis diese an der Leere des neuen Design erstickte und schließlich starb, und dann gab`s ja zum Glück die Neon. Ein tolles neues Format mit interessanten politischen Hintergrundberichten, spannenden Buch-Rezensionen und dem ganzen lalala, Unnützes Wissen & Co, entspannte Nebenher-Lektüre ohne seicht und billig zu sein - fand ich mit 16. Drei Jahre bin ich nun gealtert, alle reden von der Generation Neon und ich habe einfach keine Lust, mich mit diesem zweifelhaften Prädikat identifizieren zu lassen - da bin ich fast noch lieber ein Krisenkind des Spiegels.
Sie liegt nun also auf der Couch, die aktuelle neongrüne Ausgabe. "Was ist dir die Liebe wert?" fragt mich die Titelgeschichte - bitte was? Sind wir jetzt die neue Bravo für End-Zwanziger? Tessa von flannel apparel hat sich vor kurzem mit dem Neon-Ratgeber "Planen oder Treiben lassen" auseinandergesetzt und attestiert ihm "den Verstand der Abwrackprämie" ohne Herz und Intellekt. Kritisiert wird auch die Schleichwerbung für das neue Gruner&Jahr-Magazin Nido, konzipiert für Neonkinder, aus denen in der Zwischenzeit hippe Bio-Eltern geworden sind. An diesen Artikel muss ich denken, als ich die neueste Ratgeber-Story im Heft aufschlage. Es geht um Familienplanung, charakterliche und kulturelle Unterschiede und wann und wieso man sich lieber für sich selbst entscheiden sollte - oder doch für die Beziehung? Das ist wohl sowas, was immer irgendwie geht. Interessiert jeden, kann jeder nachvollziehen, stecken wir alle irgendwie drin, hat man sich wohl gedacht. Vielleicht auch: kostengünstig in der Produktion, und vielleicht werden die ja dann auch bald alle Nido-Leser, die noch strauchelden Familienplaner. Ich fühle mich als freiwilliges Opfer dieses krampfhaften Versuchs, das Lebensgefühl einer Generation in eine Zeitschrift zu quetschen, ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen. Die Neon versucht es nicht mit einzelnen Perspektiven, es fehlt die Herausarbeitung interessanter Aspekte, aber das ist hier gar nicht mehr Thema, denn die Neon will sie alle, und zwar auf einmal. Die gesamte Lebenspalette wird mehr schlecht als recht abgedeckt, ein paar durchschnittliche Buch-Kritiken fürs intellektuelle Spektrum, eine Politik-Reportage mit Tränendrüsenfaktor über die armen jungen Leute, die trotz Kindheit in Deutschland abgeschoben werden, ein Homo-Bericht für die popkulturelle Vielfalt und, oh Wunder, wie in beinah jeder anderen Zeitschrift auch, ein Interview mit Audrey Tautou über den aktuellen Chanel-Film, fertig. Einmal Krisenkinder für Drei Euro Fünfzig, ich gratuliere. Die Generation Neon wurde wie jeden Monat schnell zusammengezimmert, lieblos, da kauf ich mir doch einen BigMäc, der hinterlässt wenigstens im Magen eine Art von Sättigung. Das mit den Abschiebungen ist eine schlimme Sache und ich weiß es stecken viele furchtbare und traurige Schicksale hinter diesem Schlagwort, nur wurden mir durch den Artikel leider keine neuen Perspektiven eröffnet, denn: ich weiß es eben. Die Neon hat hier die Chance verpasst, einen neuen Blickwinkel zu schaffen - stattdessen wird eine seichte Alltagstragödie hingeklatscht, das kann ja dann auch jeder nur gutfinden. Und genau das ist das Problem: die Zeitschrift geht vom Durchschnitts-Leser aus, von der Generation Neon, die das dann alles auch schluckt, weil sie ja alle ähnlich sind und so irgendwie drinhängen im bunten Boot. Man geht aus vom Typ ein bisschen jung, ein bisschen intelligent, berufstätig oder auf dem Weg dorthin, an allem ein bisschen interessiert und vielleicht ein bisschen schwanger.
Ich lese die Zeitschrift so herzfern wie sie die Generation zusammengeflickt haben, klar: da bleibt kein Platz für individuelle Interessen und gewagte Ansichten. Und mir dämmert, mein auf der Couch vor sich hin schimmelndes Exemplar markiert das MaxiMenü unter den Magazinen, Mäc geht immer, wenn auch nur nachts und betrunken. Die Coke dazu gibt`s heute gratis, in Form des einfallslosen Outdoor-Spezials "Wo ist der Kakapo?", sie ist schmeckt auch etwas schal und lauwarm - und fast hätte ich die Extra-Tüte Majo vergessen: der Psychotest für die Job-Frustrierten.
Gut, alle reden von der Medienkrise und es ist tatsächlich wenig Geld da für Qualitätsjournalismus. Aber auch wenn es am nötigen Kleingeld für aufwendige Auslandsreportagen fehlt, das Konzept für den hippen Durchschnitt steht und klebt mir am Gaumen wie ein labbriges Burger-Brötchen. Die Beziehungskiste bleibt in den Seiten hängen, spätestens seit mir die Neon tatsächlich dazu geraten hat, bei Differenzen mit dem Partner doch mal eine "Love-Map" zu erstellen. Nein Danke, was auch immer das sein soll, es interessiert mich nicht weiter.
Und trotzdem konsumieren alle weiter schnelle Kalorien, die Neon liegt auf jedem besseren Studenten-Klo, das irgendwas auf sich hält, während die WG-Kumpanen vom knappen Budget fleißig fair gehandelten Kaffee trinken. Aus Mangel an Alternativen? Das war zumindest mein einziges Motiv fürs Neon-Abo, was jedoch eher nicht verallgemeinert werden kann. Die Neon hat Konjunktur und es kotzt mich an. Es ist der stümperhafte Versuch, jeden Monat eine ganze Generation neu aufzulegen und ich habe es satt, mein Lebensgefühl verwaschen und ausgewrungen in einer Zeitschrift wiederzufinden, abgeschliffen und fitgemacht für die Masse.
Dann eben die Vogue? Irgendwie auch nicht, während die Modestrecken Qualität, Schönheit und einigen Einfallsreichtum ablichten kommt alles andere zu kurz; sonstige Frauenzeitschriften der einfachen Machart stehen nicht zur Debatte. Und was kommt dann, Handelsblatt Junge Karriere? Kommt ebenfalls nicht in die Tüte.
Die Generation Neon kann jedenfalls auch bleiben wo sie ist, wahrscheinlich irgendwo mit einer roten Ray Ban lässig flanieren, gemeinsam mit ihrer Bibel.
Ich hatte noch nie Bock auf Durchschnitt, auch wenn er sich noch so szenig verpackt. Denn das Extreme, das Echte, das Ich, wessen auch immer, werde ich hier vergeblich suchen.

read more:
http://flannelapparel.blogspot.com/2009/07/die-tiefe-der-tuchfuhlung.html

soundtrack while writing:
+ The Do // stay (just a little bit more)
+ Fink // pretty little thing
+ Fink // hush now

4 Kommentare:

  1. Das hab ich gern gelesen. Vielleicht postest du den Link einfach in meinem Text als Comment um Dir ein paar Leser zu bescheren. Beste Grüße, Tessa

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  2. Beweisend für die desolate Lage der Medienlandschaft für Jungakademiker ist auch der berühmte "schwarze Kasten" auf StudiVZ, heute mal wieder mit einer besonderen Frechheit, die sich erst auf der Seite "Wahlzentrale" so richtig offenbart:
    http://a.imagehost.org/0666/studivz_frechheit.png

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  3. Danke, hab mich schon gefragt, ob ich die Einzige sei, die nach NEON-Lektüre so ein Gefühl von "Und was war das jetzt?" hat ;-)
    Grüße aus der Nachbarstadt...

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